Entscheidungsstichwort (Thema)
Grob fahrlässiges nachträgliches Bekanntwerden von Unterhaltsaufwendungen für ein nicht mehr berücksichtigungsfähiges Kind bei Beantragung eines Ausbildungsfreibetrags. Zeitraum für die Prüfung des groben Verschuldens i.S. des § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO
Leitsatz (redaktionell)
1. Füllt ein steuerlicher Laie im Rahmen der Einkommensteuererklärung, wie in den Jahren zuvor, die Anlage Kinder aus und beantragt einen Ausbildungsfreibetrag, obwohl das Kind wegen Überschreitens der Altersgrenze erstmals nicht mehr steuerlich zu berücksichtigen ist, können die Unterhaltszahlungen an das Kind auch nach Bestandskraft des Steuerbescheids nach § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO als außergewöhnliche Belastung abzuziehen sein. Das unterlassene Studium der kompletten Anleitung zur Einkommensteuererklärung begründet ohne Vorliegen eines konkreten Anlasses kein grobes Verschulden.
2. Dem Steuerpflichtigen kann auch nicht vorgeworfen werden, dass er nach Versagung des Ausbildungsfreibetrags durch das FA mit dem streitigen Einkommensteuerbescheid vor Ablauf der Rechtsbehelfsfrist Nachforschungen nach einer weiteren möglichen steuerlichen Berücksichtigung der angefallenen Unterhaltsaufwendungen vornehmen muss, mit der Konsequenz, dass er, wenn er dies unterlässt, grob schuldhaft handelt. Das grobe Verschulden i. S. von § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO bezieht sich nur auf das nachträgliche Bekanntwerden der Tatsachen und Beweismittel, also auf den Zeitpunkt vor Festsetzung der Steuer.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; EStG § 33a Abs. 1-2, § 32 Abs. 4; AO § 150 Abs. 2 S. 1
Nachgehend
Tenor
1. Unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 25. April 2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. März 2002 wird der Einkommensteuerbescheid für 1998 vom 1. Juni 1999 dahingehend geändert, dass die Einkommensteuer auf 58.774,– DM festgesetzt wird. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen der Beklagte zu 88 % und die Kläger zu 12 %.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Voraussetzungen einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) vorliegen.
Die Kläger sind im Streitjahr zusammenveranlagte Eheleute. Der Kläger erzielte als Diplom-Ingenieur Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit bei der E AG sowie negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung; die Klägerin hatte lediglich negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Ihr am 10. Dezember 1968 geborener Sohn O. erreichte in 1998 das 31. Lebensjahr. Mit ihrer Einkommensteuererklärung für 1998, die sie ohne Mitwirkung eines Steuerberaters erstellten, reichten die Kläger am 22. März 1999 auch eine mit verschiedenen Angaben versehene Anlage Kinder beim Beklagten ein. Ausgefüllt war diese Anlage im Bereich „Angaben zu Kindern” mit „O. – F.”. Sein Geburtsdatum war mit „01.01.3112”, die Höhe des für 1998 ausgezahlten Kindergeldes mit „0” angegeben. O. Wohnort befand sich nach ihren Angaben vom 01.01.–31.12. im Inland. Seine Einnahmen betrugen 4.683,– DM. Werbungskosten hatten die Kläger in Höhe von 2.000,– DM angesetzt. In der Rubrik „Ausbildungsfreibetrag” hatten sie ausgefüllt, dass für O. vom 01.01.–31.12. Aufwendungen für die Berufsausbildung entstanden seien sowie dass er auswärtig, Im weg, F, untergebracht gewesen sei.
In dem Einkommensteuerbescheid für 1998 vom 1. Juni 1999 gewährte der Beklagte für O. weder einen Kinder- noch einen Ausbildungsfreibetrag. Darauf wies er in seinen Erläuterungen zu diesem Bescheid wie folgt hin: „Das am 10.12.68 geborene, über 27 Jahre alte Kind kann im Rahmen des Familienleistungsausgleichs nicht berücksichtigt werden, weil die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Der Ausbildungsfreibetrag für das am 10.12.68 geborene Kind konnte nicht berücksichtigt werden, weil Sie für dieses Kind keinen Kinderfreibetrag oder Kindergeld erhalten haben”.
Mit Schreiben vom 24. April 2001 beantragte der Steuerberater der Kläger, den Einkommensteuerbescheid für 1998 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO zu ändern. Die von den Klägern an O. geleistete finanzielle Unterstützung in Höhe von 14.159,60 DM (Miete und andere Aufwendungen; siehe Rechtsbehelfsakte, Blatt 3) solle als außergewöhnliche Belastung nach § 33 a Einkommensteuergesetz (EStG) berücksichtigt werden. O. sei im Streitjahr als Medizinstudent an der Universität eingeschrieben gewesen. Erst im Streitjahr habe er die Altersgrenze des § 32 Abs. 4 und 5 EStG überschritten. Daher sei seine steuerliche Berücksichtigung als „Kind im Sinne des EStG” erstmals in 1998 ausgelaufen. In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr hätten die Kläger, wie in den Jahren zuvor, die Anlage Kinder ausgefüllt und den Ausbildungsfreibetrag beantragt. Dieser sei zwar vom Beklagten zurecht nicht gewährt worden. Allerdings habe der Beklagte in dem Einkommensteuerbescheid für 1998 die Kläger nicht darauf hingewiesen, ...