Entscheidungsstichwort (Thema)
Gestaltungsmissbrauch bei erstmaliger Wahl der getrennten Veranlagung nach Änderungsbescheid
Leitsatz (redaktionell)
1. Nach dem Tod eines Ehegatten ist der Antrag des überlebenden Ehegatten auf Durchführung der getrennten Veranlagung rechtsmissbräuchlich, wenn mit der Wahl der getrennten Veranlagung ausschließlich das Ziel verfolgt wird, im Erhebungsverfahren die hälftige Anrechnung der vor dem Tod des Ehegatten auf die Gesamtschuld geleisteten Steuerzahlungen zu erreichen und die Erhebung der – nach der getrennnten Veranlagung – auf den verstorbenen Ehegatten entfallenden Steuer bei den Erben durch Haftungsbeschränkung zu vermeiden.
2. Das Finanzamt kann nicht darauf verwiesen werden, zur Vermeidung des Steuerausfalls die aufgrund der Beantragung der getrennten Veranlagung den Erben zustehenden Schadensersatzansprüche gegen den überlebenden Ehegatten geltend zu machen.
Normenkette
AO §§ 42, 155 Abs. 3 S. 1, §§ 165, 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 171 Abs. 3; EStG §§ 26, 26a, 26b, 32a Abs. 1, 5, § 36 Abs. 2, § 53
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob Anträge auf getrennte Veranlagung rechtsmissbräuchlich i.S. des § 42 Abgabenordnung (AO) sind.
Die Klägerin und ihr am 23. Februar 1996 verstorbener Ehemann (E) waren seit dem 25. September 1970 verheiratet. In den Streitjahren 1988 – 1991 war E als … selbständig tätig, die Klägerin erzielte Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Beide bezogen zudem Einkünfte aus Kapitalvermögen sowie Vermietung und Verpachtung. Sie wurden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Auf Antrag der Klägerin (und Miterbin nach E) vom 02. Mai 1996 wurde mit Beschluss des Amtsgerichts X vom 08. August 1996 über den Nachlass des E das Nachlasskonkursverfahren eröffnet. Die von dem Beklagten (Finanzamt –FA–) angemeldeten (bevorrechtigten) Steuerforderungen (im Wesentlichen Einkommensteuer 1992 – 1995; Einkommensteuervorauszahlungen 1996) in Höhe von 513.369 EUR wurden im Rahmen des Nachlasskonkursverfahrens in Höhe von 72.447 EUR befriedigt. Am 18. November 2004 wurde das Konkursverfahren aufgehoben.
Für die Streitjahre erklärten die Klägerin und E folgende Einkünfte:
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1988 DM |
1989 DM |
1990 DM |
1991 DM |
Einkünfte § 18 EStG (E) |
333.776 |
367.601 |
189.782 |
240.963 |
Einkünfte § 19 EStG (Klägerin) |
32.200 |
38.900 |
43.400 |
53.400 |
Einkünfte § 20 EStG (E) |
697 |
2.452 |
6.495 |
7.430 |
Einkünfte § 20 EStG (Klägerin) |
1.029 |
1.264 |
1.650 |
3.512 |
Einkünfte § 21 EStG (E) |
-25.368 |
-18.793 |
-26.481 |
-41.371 |
Einkünfte § 21 EStG (Klägerin) |
-12.542 |
-7.043 |
-3.370 |
11.239 |
Sie wurden antragsgemäß nach § 26 Einkommensteuergesetz (EStG) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Einkommensteuerbescheide 1988 – 1991 wurden bestandskräftig, ergingen jedoch im Hinblick auf anhängige Verfassungsbeschwerden wegen der Höhe der Freistellung des Existenzminimums eines Kindes vorläufig nach § 165 Abs. 1 AO. Ausfertigungen der Einkommensteuerbescheide 1988 – 1991 liegen sowohl dem Beklagten als auch der Klägerin und dem Prozessbevollmächtigten nicht mehr vor. Am 13. Februar 2001 erließ das FA für die Streitjahre auf der Grundlage des § 165 Abs. 2 AO i.V.m. § 53 EStG Einkommensteueränderungsbescheide zur Steuerfreistellung des Existenzminimums des Kindes der Eheleute.
Mit diesen Bescheiden wurden im Rahmen der Zusammenveranlagung für die Eheleute als Gesamtschuldner Steuern in folgender Höhe festgesetzt.
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1988 DM |
1989 DM |
1990 DM |
1991 DM |
Einkommensteuer |
122.653,00 |
160.208,00 |
52.233,00 |
86.818,00 |
Solidaritätszuschlag |
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|
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3.255,76 |
Kirchensteuer |
9.716,24 |
12.720,64 |
4.230,64 |
6.921,44 |
Nach Abzug der anzurechnenden Lohn- und Kapitalertragsteuern sowie der bereits geleisteten Steuerzahlungen ergab sich jeweils eine Erstattung.
Die Anrechnungsverfügungen der Bescheide weisen Steuerzahlungen in folgender Höhe aus:
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1988 DM |
1989 DM |
1990 DM |
1991 DM |
Einkommensteuer |
121.238,00 |
157.539,00 |
48.765 |
80.702,00 |
Solidaritätszuschlag |
|
|
|
3.031,89 |
Kirchensteuer |
9.705,00 |
13.162,00 |
3.880,00 |
6.444,00 |
Wegen der weiteren Einzelheiten der Einkommensteueränderungsbescheide wird auf die vom Prozessbevollmächtigten vorgelegten Kopien der Bescheide verwiesen (Gerichtsakte 2 K 217/05, Bl. 37 – 45).
Mit Schreiben vom 06. März 2001 legte der Prozessbevollmächtigte gegen die Änderungsbescheide Einspruch ein. Den Einspruch begründete er ausschließlich mit den in selbigem Schreiben (erstmals) beantragten getrennten Veranlagungen der Klägerin. Er bat um Ruhen des Einspruchsverfahrens bis zur Entscheidung über die Einsprüche gegen die Einkommensteuerbescheide 1992 – 1995.
Mit Einspruchsentscheidung vom 19. September 2005 wies das FA die Anträge auf getrennte Veranlagung zurück, da diese rechtsmissbräuchlich i.S. des § 42 AO und daher unbeachtlich seien. Daraufhin erhob die Klägerin am 11. Oktober 2005 Klage. Das Gericht verwies mit Senatsbeschluss vom 09. Juni 2008 ...