rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufwendungen für die Zubereitung und das Servieren des täglichen Mittagessens in einem Wohnstift sind haushaltsnahe Dienstleistungen i. S. d. § 35a Abs. 2 EStG
Leitsatz (redaktionell)
Die Zubereitung und das Servieren von Speisen in einem Wohnstift zählen zu den haushaltsnahen Dienstleistungen und erfolgen – entgegen dem Urteil des FG Baden-Württemberg v. 8.3.2012, 6 K 4420/11 – auch dann im Haushalt des Bewohners des Wohnstifts, wenn die Speisen im Speisesaal und damit auf der Gemeinschaftsfläche des Wohnstifts serviert werden und das Mittagessen in der hauseigenen Küche zubereitet wird, in die die Bewohner des Wohnstiftes keinen Zugang haben. Voraussetzung ist jedoch, dass der Steuerpflichtige in dem Wohnstift über ein Appartement verfügt, das abschließbar und zur selbstständigen Haushalts- und Wirtschaftsführung geeignet ist.
Normenkette
EStG § 35a Abs. 2
Tenor
1. Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 27. Oktober 2011 wird der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2010 vom 22. September 2011 dahin gehend geändert, dass die festgesetzte Einkommensteuer um 477,16 EUR (20% von 2.385,79 EUR) ermäßigt wird. Deren Neuberechnung wird dem Beklagten übertragen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob 20% der Aufwendungen des Klägers für die Zubereitung und das Servieren des täglichen Mittagessens in einem Wohnstift als haushaltsnahe Dienstleistung von der festgesetzten Einkommensteuer abgezogen werden können.
Der im Jahr 1913 geborene Kläger ist Witwer. Er wohnte im Streitjahr (2010) in einem Appartement im Wohnstift X (A) in Y (B). Trägerin der Einrichtung ist die N X gemeinnützige GmbH (X GmbH) mit Sitz in M (M).
Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 des Wohnstiftvertrags (Bl. 42 ff. der Gerichtsakte –GA–) gewährt das Wohnstift dem Bewohner als Regelleistung, die mit dem Entgelt abgegolten ist, ein Mittagessen mit Service im Speisesaal. Nur gegen zusätzliches Entgelt werden ein Frühstück, ein Abendessen und das Servieren von Mahlzeiten im Appartement angeboten (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 und 2 Wohnstiftvertrag). Nimmt ein Bewohner wegen Abwesenheit von jeweils mehr als drei aufeinanderfolgenden Tagen Mahlzeiten nicht in Anspruch, wird ihm der sog. „Rohverpflegungssatz” (Lebensmittelwert einer Mahlzeit) rückvergütet; ist der Bewohner im Wohnstift anwesend und nimmt Mahlzeiten nicht ein, erfolgt keine Rückvergütung (§ 5 Abs. 1 und 2 Wohnstiftvertrag). Nach einer Ergänzungsvereinbarung vom 7. Februar 2002 (Bl. 32 ff. GA) gehört zur Standardleistung „Speisen” (§ 1 B der Ergänzungsvereinbarung) täglich ein warmes Mittagsmenü (Nr. 1). Alle Mahlzeiten werden in der hauseigenen Küche zubereitet; u.a. wird das Mittagessen grundsätzlich im Speisesaal serviert und so präsentiert, dass es in einer kultivierten Atmosphäre eingenommen werden kann (Nr. 3.). Bei leichter vorübergehender Erkrankung hat der Bewohner im Rahmen der Krankenpflege unter anderem Anspruch auf das Servieren von Mahlzeiten im Appartement (§ 1 C Nr. 1 der Ergänzungsvereinbarung). Der „Entgeltbestandteil Speisen”, den der Kläger im Streitjahr dafür zu entrichten hatte, betrug monatlich 327 EUR.
Außerdem dürfen die Bewohner die Gemeinschaftseinrichtungen des Wohnstifts (Aufenthaltsräume, Gesellschaftszimmer, Bibliothek, Garten, Schwimmbad und andere) benutzen (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 Wohnstiftvertrag). In § 1 A Nr. 7 der Ergänzungsvereinbarung ist festgehalten, dass folgende Gemeinschaftseinrichtungen im Wohnstift zur Verfügung stehen: Empfang, Speisesaal, Aufenthaltsräume, Bibliothek, Clubräume, Musikzimmer, ökumenische Hauskapelle, Wohnstiftstheater, Schwimmbad, Pflegebäder, Gymnastikhalle, Werkraum, Weinstube, Kegelbahn, Garten bzw. Außenanlagen.
Nach einer (nach dem Tod der Ehefrau des Klägers) im Februar 2003 erfolgten Änderung des Wohnstiftsvertrags (Bl. 40 ff. GA) wird dem Kläger ein unmöbliertes Appartement mit zwei Zimmern, Bad, Diele, Kochmöglichkeit und Balkon mit 49 m² Wohnfläche überlassen. Das vom Kläger bewohnte Appartement, in dem er seinen Haushalt führt, ist abschließbar. Es ist zur selbstständigen Haushalts- und Wirtschaftsführung geeignet.
Für das Streitjahr erstellte die X GmbH unter dem 17. März 2011 eine sog. „Kostenaufstellung für steuerliche Zwecke”, auf die verwiesen wird (Bl. 3 und 4 der Einkommensteuerakte). In dieser Aufstellung bescheinigte die X GmbH dem Kläger unter 1., dass in dem vom Kläger gezahlten Entgelt für das Streitjahr u.a. folgende Aufwendungen i.S. des § 35a Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) enthalten seien:
- • Reinigung der Gemeinschaftsflächen (u.a. Gemeinschaftsräume; Tz. 1.2): 434,03 EUR (= 2,0% des Entgeltbestandteils Wohnen)
- •Aufwendungen für die Zubereitung und das Servieren des täglichen Mittagsmenüs im „hauseigenen Restaurant oder im Appartement” (Tz. 1.5.): 2.385,79 EUR (= 60,8% des Entgelts für die Speisen).
Im Rahmen seiner Einkommens...