Entscheidungsstichwort (Thema)
Erhöhter Freibetrag bei Kündigung eines Kommanditanteils, wenn Ausscheiden aus der Gesellschaft erst nach dem Todesfall erfolgt. keine Bindungswirkung des Feststellungsbescheids über Veräußerungsgewinn hinsichtlich der Berücksichtigung des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Erbe kann den dem Erblasser zustehenen erhöhten Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG geltend machen, wenn der Erblasser seinen Kommanditanteil zu Lebzeiten kündigt, die Beteiligung an der Kommanditgesellschaft jedoch erst nach dessen Todesfall endet.
2. Dies gilt auch dann, wenn dem Erben neben dem Freibetrag des Erblassers ein eigener Freibetrag zusteht, da auch er seine Beteiligung an der Kommanditgesellschaft gekündigt hat.
3. Über die Höhe des Freibetrags nach § 16 Abs. 4 EStG wird erst bei der Einkommensteuerfestsetzung entschieden, so dass der Feststellungsbescheid über die Höhe des Veräußerungsgewinns keine Bindungswirkung hinsichtlich der Frage entfaltet, ob für den verstorbenen Ehemann ein zusätzlicher Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG zu berücksichtigen ist.
Normenkette
EStG § 16 Abs. 1, 4; AO § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Nachgehend
Tenor
1. Der Bescheid für 2006 über ESt, Zinsen zur ESt, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 26. Januar 2009 und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 28. Juli 2010 werden aufgehoben.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
3. Die Revision wird zugelassen.
4. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Tatbestand
Streitig ist, ob bei der Einkommensteuer(ESt)-Veranlagung (Zusammenveranlagung) der Klägerin (Klin) und ihres verstorbenen Ehemannes für das Streitjahr (2006) sowohl für die Klin selbst als auch für ihren verstorbenen Ehemann ein (jeweils ungekürzter) Freibetrag nach § 16 Abs. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) zu berücksichtigen ist und ob der dem angefochtenen ESt-Änderungsbescheid vom 26. Januar 2009 vorausgegangene ESt-Bescheid vom 20. März 2008 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) geändert werden konnte.
Die 1938 geborene Klin und ihr 1935 geborener Ehemann X waren zu gleichen Teilen an der Y GmbH & Co.KG, in A (nachfolgend: Y KG) als Kommanditisten beteiligt. Mit Schreiben jeweils vom 28. Dezember 2005 kündigten beide Ehegatten ihre Kommanditbeteiligung zum 31.12.2006 (s. Schreiben des Ehemannes der Klin vom 28. Dezember 2005 über die Kündigung des Treuhand- und Kommanditbeteiligungsverhältnisses, Bl. 23 der Rechtsbehelfsakten). Mit Schreiben vom 30. Januar 2006 (Bl. 24 der Rechtsbehelfsakten) bestätigte die Y KG dem Ehemann der Klin das Ausscheiden zum 31.12.2006. Der Ehemann der Klin ist jedoch bereits 2006 verstorben. Alleinerbin ihres Ehemannes wurde die Klin, die die Erbschaft am 16. Januar 2007 angenommen hat.
Das Finanzamt (FA) für Körperschaften in A (Betriebsstättenfinanzamt) stellte mit nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO teilweise vorläufigem Feststellungsbescheid 2006 vom 28. September 2007 die anteiligen Einkünfte der Klin und ihres Ehemannes aus deren Beteiligungen an der Y KG gesondert und einheitlich wie folgt fest (vgl. die Mitteilungen vom 28. September 2007, Bl. 13 ff. und Bl. 18 ff. der ESt-Akten):
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Ehemann |
Ehefrau |
Nach Anwendung des § 15 a EStG anzusetzende steuerpflichtige laufende Einkünfte |
0,00 Euro |
0,00 Euro |
Nach Anwendung des § 15 a EStG anzusetzende steuerpflichtige Veräußerungsgewinne und andere tarifbegünstigte Einkünfte (§§ 16, 34 EStG) |
71.888.08 Euro |
71.888,08 Euro |
angenommener Austritt aus der Gesellschaft |
31.12.2006 |
31.12.2006 |
Die steuerfrei bleibenden Teile der Veräußerungsgewinne werden bei der Veranlagung des Beteiligten nach Maßgabe seiner persönlichen Verhältnisse berücksichtigt
In der ESt-Erklärung für das Streitjahr erklärte die Klin in gesonderten Anlagen GSE (Bl. 11 und Bl. 16 der ESt-Akten) sowohl für sich selbst als auch für ihren verstorbenen Ehemann einen Veräußerungsgewinn aus der Veräußerung der Beteiligung an der Y KG in Höhe von 71.930 EUR und beantragte jeweils die Berücksichtigung eines Freibetrages nach § 16 Abs. 4 EStG.
Der Beklagte (Bekl) berücksichtigte im ursprünglichen – unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen – ESt-Bescheid für das Streitjahr vom 23. Januar 2008 (Bl. 42 ff. der ESt-Akten) antragsgemäß für jeden der beiden Ehegatten einen Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG in Höhe von 45.000,00 Euro.
Am 20. März 2008 erließ der Bekl aus hier nicht interessierenden Gründen einen ändernden ESt-Bescheid für das Streitjahr (Bl. 108 ff. der ESt-Akten) und hob den Vorbehalt der Nachprüfung auf. Der Ansatz der Veräußerungsgewinne der Klin und ihres Ehemannes aus den Beteiligungen an der Y KG erfuhr dabei keine Änderung.
Mit änderndem Feststellungsbescheid vom 09. Mai 2008 traf das FA für Körperschaften in A folgende Feststellungen (vgl. die Mitteilungen vom 09. Mai 2008, Bl. 115 und Bl. 116 der ESt-Akten):