Entscheidungsstichwort (Thema)

Änderung eines im Massenrechtsbehelfsverfahren geänderten Bescheids wegen neuer Tatsachen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Erlässt das FA in einem Massenrechtsbehelfsverfahren einen geänderten Bescheid, mit dem der angefochtene Einkommensteuerbescheid wegen beim BverfG oder beim BFH anhängiger Musterverfahren für vorläufig erklärt wird, ist eine Änderung des geänderten Bescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO auch dann möglich, wenn dem FA die neuen Tatsachen zum Zeitpunkt des Erlasses des Änderungsbescheids bereits bekannt waren.

2. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das FA im Einspruchsverfahren grundsätzlich verpflichtet ist, die Sache in vollem Umfang erneut zu überprüfen, da der vom Steuerpflichtigen gestellte Antrag die Sachaufklärungspflicht des FA begrenzt.

 

Normenkette

AO § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 367 Abs. 2 S. 2

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 18.12.2014; Aktenzeichen VI R 22/13)

BFH (Beschluss vom 18.12.2014; Aktenzeichen VI R 22/13)

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob der Beklagte einen Änderungsbescheid erlassen durfte, in dem er die Ergebnisse einer Lohnsteuer-Außenprüfung der Besteuerung zu Grunde gelegt hat.

Nach Eingang der Einkommensteuererklärung der Klägerin für das Streitjahr beim Beklagten am 31. Januar 2007 erließ dieser am 21. Februar 2007 einen erstmaligen Einkommensteuerbescheid (Bl. 27 ff Einkommensteuerakte). Dagegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 8. März 2007, eingegangen beim Beklagten am 14. März 2007, Einspruch ein. Sie beantragte, einen Entlastungsbetrag für Alleinerziehende gemäß § 24 b Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Höhe von 1.308 EUR sowie die Übertragung des Hinterbliebenenpauschbetrages der Tochter M gemäß § 33 b Abs. 4 EStG in Höhe von 370 EUR zu berücksichtigen. Darüber hinaus bat sie um Ruhen des Verfahrens hinsichtlich folgender Punkte wegen anhängiger Musterverfahren beim Bundesfinanzhof (BFH) bzw. beim Bundesverfassungsgericht:

  • Vollständiger Abzug der Arbeitnehmeranteile für die Rentenversicherung als Sonderausgaben gemäß § 10 EStG
  • unbeschränkter Abzug von Krankenversicherungsbeiträgen als Vorsorgeaufwendungen.

Am 12. April 2007 erließ der Beklagte einen Änderungsbescheid (Bl. 49 ff Einkommensteuerakte), in dem der beantragte Entlastungsbetrag für Alleinerziehende sowie der Hinterbliebenenpauschbetrag berücksichtigt wurden. In den Erläuterungen dazu heißt es u.a.: „Ihrem Antrag auf Ruhen des Verfahrens wird entsprochen. Hierdurch erledigt sich Ihr Einspruch/Antrag vom 08.03.2007. Dieser Bescheid ändert den Bescheid vom 21.02.2007.”

Im Anschluss ruhte das Einspruchsverfahren wegen der o.g. Punkte.

Mit Schreiben vom 23. April 2009 (Bl. 91 ff Einkommensteuerakte 2004) teilte der Beklagte der Klägerin im vergleichbar gelagerten Einspruchsverfahren wegen Einkommensteuer 2004 mit, dass ein Ruhen des Verfahrens nicht mehr in Betracht komme. Dieses Verfahren hatte wegen der o.g. beiden Punkte sowie wegen zweier zusätzlicher Musterverfahren geruht. Der Beklagte stellte der Klägerin in diesem Schreiben bezüglich der Einkommensteuer 2004 jedoch in Aussicht, hinsichtlich einiger im Einzelnen aufgeführter Punkte „im Hinblick auf die Verfassungsmäßigkeit und verfassungskonforme Auslegung der Norm” die Steuerfestsetzung vorläufig vorzunehmen. Am Ende des Schreibens heißt es: „Die für Sie in Betracht kommenden Vorläufigkeitspunkte werden programmgesteuert für jeden Veranlagungszeitraum ermittelt! Sie werden gebeten, bis spätestens 10.05.2009 mitzuteilen, ob Sie mit der Erledigung des o.g. Einspruchs in vorgenannter Weise einverstanden sind.”

Mit Bescheid vom 23. November 2009 (Bl. 63 ff Einkommensteuerakte) nahm der Beklagte zusätzliche Vorläufigkeitsvermerke in den Einkommensteuerbescheid 2005 auf. Im Übrigen blieb dieser – auch betragsmäßig – unverändert. In den Erläuterungen heißt es: „Durch den erweiterten Vorläufigkeitsvermerk (s. unten) erledigt sich Ihr Einspruch gegen die von Ihnen angegriffenen Regelungen bzw. die von Ihnen angegriffenen Regelungen sind durch Urteil/Beschluss erledigt. Ihr Rechtsschutzinteresse wird dadurch gewahrt.”

Am 26. Februar 2010 erließ der Beklagte einen geänderten Einkommensteuerbescheid (Bl. 75 ff Einkommensteuerakte), in dem eine Prüfungsmitteilung vom 6. März 2008 (Bl. 107 Einkommensteuerakte 2004), resultierend aus einer beim Arbeitgeber der Klägerin, der X GmbH, durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung, ausgewertet wurde. Angesetzt wurde ein geldwerter Vorteil aufgrund einer Kfz-Überlassung an die Klägerin. Der Bescheid enthält die Feststellung: „Der Bescheid ist nach § 129 AO berichtigt.”

Gegen den geänderten Bescheid legte die Klägerin am 29. März 2010 Einspruch ein. Sie führte aus, dass § 129 der Abgabenordnung (AO) nicht die richtige Änderungsvorschrift sei. Einschlägig sei vielmehr § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gewesen. Zum Zeitpunkt der Änderung am 23. November 2009 seien die Feststellungen der Lohnst...

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