Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung bei Mehrwertsteuerbetrug des Abnehmers
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Voraussetzungen für eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung liegen auch dann vor, wenn der Lieferant seinen Nachweispflichten nach § 6a Abs. 3 UStG i. V. m. §§ 17a ff. UStDV nachkommt, dabei jedoch die – mögliche – Unrichtigkeit der Angaben seiner Abnehmer und der Frachführer auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte.
2. Allein der Umstand, dass der Abnehmer im Inland durch einen Bevollmächtigten auftrittt und den Kaufpreis zulasten inländischer Bankkonten bezahlt, begründet keinen Argwohn des Lieferanten.
3. Das Risiko, ob die Angaben im qualifizierten Bestätigungsverfahren nach § 18e UStG tatsächlich zutreffen, darf nicht dem Steuerpflichtigen aufgebürdet werden.
4. Für den tatsächlichen Ablauf der Versendung ist allein das Verhalten des Frachtführers entscheidend. Mit seiner Unterschrift wirkt der Frachtbrief nicht nur als Empfangsbekenntnis (Quittung) i. S. v. § 368 BGB sondern er hat auch die Beweiskraft, die § 416 ZPO den Privaturkunden beimisst.
Normenkette
UStG § 4 Abs. 1 Nr. 1b, §§ 6a, 18e; UStDV §§ 17a, 10 Abs. 1, § 13; BGB § 368; HGB § 408; ZPO § 416
Nachgehend
Tenor
1. Die Bescheide über die Umsatzsteuer vom 30. Januar 2006 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. März 2006 werden mit der Maßgabe geändert, dass die Umsatzsteuer gemindert wird
- für den Besteuerungszeitraum 2001 um 13.172,41 DM oder 6.734,95 Euro und
- für den Besteuerungszeitraum 2002 um insgesamt 9.875,86 Euro
und der Beklagte die danach festzusetzende Umsatzsteuer zu berechnen hat. Der Beklagte hat den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mitzuteilen; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekannt zu geben.
2. Die Revision wird zugelassen.
3. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 Euro, hat der Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 Euro kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn der Kläger nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat.
Tatbestand
Streitig ist, ob Umsätze als innergemeinschaftliche Lieferungen steuerfrei sind.
Der Kläger betreibt seit Jahren als selbständiger Unternehmer den Handel mit neuwertigen Personenfahrzeugen. Im Rahmen dieser Tätigkeit veräußerte er Fahrzeuge ausweislich seiner Schreiben (Rechnungen)
vom |
Fahrgestellnummer |
für |
bezahlt mit |
7. Dezember 2001 |
…8 |
95.500 DM |
Scheck |
7. Januar 2002 |
…2 |
26.600 Euro |
Verrechnungsscheck |
27. November 2002 |
…3 |
45.000 Euro |
Überweisung |
Die Beförderung dieser Fahrzeuge wurde von Frachtführern besorgt, die – offenbar – als selbständige Unternehmer tätig waren.
Die mit der Steuerfahndung betraute Dienststelle des Finanzamts B kam zu dem Ergebnis, diese Umsätze könnten nicht als steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferungen behandelt werden. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Bericht vom 7. Oktober 2005.
Der Einspruch gegen die – gemäß § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten – Bescheide über die Umsatzsteuer für die Kalenderjahre 2001 und 2002 (Streitjahre) vom 30. Januar 2006 blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 27. März 2006).
Der Kläger macht weiterhin geltend, er habe die bei innergemeinschaftlichen Lieferungen erforderlichen Nachweise erbracht. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Anlagen zu dem Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 30. September 2009.
Der Kläger beantragt,
die Bescheide über die Umsatzsteuer vom 30. Januar 2006 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. März 2006 zu ändern und dabei den Betrag der festgesetzten Umsatzsteuer zu mindern
- für das Streitjahr 2001 um 13.172,41 DM oder 6.734,95 Euro und
- für das Streitjahr 2002 um insgesamt 9.875,86 Euro.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat dem Senat außerdem – mit seinem Schreiben vom 15. Oktober 2009 – drei DIN A-4-Umschläge („3 ‚Automappen’”) überlassen, die jeweils Belege zu einer der streitigen Lieferungen enthalten und auf die Bezug genommen wird, insbesondere auf
- die Schreiben (Rechnungen) des Klägers vom 7. Dezember 2001, vom 7. Januar und vom 27. November 2002,
- die Schreiben des (damaligen) Bundesamtes für Finanzen (BfF) vom 7. Dezember 2001, vom 7. Januar und vom 21. November 2002,
- die CMR-Frachtbriefe vom 7. Dezember 2001, vom 9. Januar und vom 27. November 2002 und
- die Unterlagen über die geleisteten Zahlungen.
Entscheidungsgründe
1. Die Klage ist begründet.
Nach § 100 Abs. 1 ...