Entscheidungsstichwort (Thema)
Gemeinnütziger Verein: Verstöße gegen die Vermögensverwendung in den Folgejahren nicht ohne Weiteres ein rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO
Leitsatz (redaktionell)
Bei einem gemeinnützigen Verein stellen Verstöße hinsichtlich der Vermögensverwendung nicht ohne Weiteres ein auf die Vorjahre rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar.
Es bestehen erhebliche Zweifel, ob die rückwirkende Aberkennung der Gemeinnützigkeit nach den Vorschriften des § 63 Abs. 2 in Verb. mit § 61 Abs. 3 AO zulässig ist.
Normenkette
AO § 175 Abs. 1 Nr. 2, § 61 Abs. 3, § 63 Abs. 2
Tatbestand
Der Antragsteller ist ein eingetragener Verein, dessen Satzungszweck auf die Verfolgung gemeinnütziger Zwecke ... gerichtet ist und der vom Antragsgegner bis zur Durchführung der Besteuerung für das Jahr 1998 auch als gemeinnützig behandelt worden war. Er ... erlangte 1933 das Eigentum an einem ... im späteren Ostteil Berlins ... gelegenen Grundstück ...
... 1951 wurde das Grundstück im Wege einer Enteignung Eigentum der Gebietskörperschaft Groß-Berlin. ...
Nach der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands verfolgte der Antragsteller die Rückübereignung des Grundstücks nach dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen - VermG -. Das Verfahren vor dem Amt zur Regelung offener Vermögensfragen ... - nachfolgend: AROV - zog sich bis Ende 1998 hin.
Der Antragsteller unterhielt seit Beginn der 90er Jahre ... (einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb). Dem trug er bei seinen Ertragsteuererklärungen Rechnung, indem er neben den erklärungsgemäß steuerfrei zu stellenden Einkünften aus dem ideellen Bereich sowie der Vermögensverwaltung ertragsteuerpflichtige Einkünfte aus dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ... erklärte. ...
...
Mit Bescheid des AROV vom ... Dezember 1998 erfolgte die Rückübereignung des Grundstücks an den Antragsteller. Dieser behandelte daraufhin Erträge aus dem Grundstück in der Gewinnermittlung für 1998, die der beim Antragsgegner eingereichten Erklärung zur Körperschaft- und Gewerbesteuer für 1998 beigefügt war, als Erträge aus dem Bereich Vermögensverwaltung und bezog sie somit nicht in die erklärten steuerpflichtigen Einkünfte aus dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb ein.
... 1999 vereinbarte der Antragsteller die Ausgliederung ... (seines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs) und den Übergang des Grundstücks auf eine ... KGaA ..., sodass der Wert der vom Antragsteller zu leistenden Einlage in die KGaA dem Verkehrswert des Grundstücks von x DM, das im Übrigen bei Einlage praktisch das gesamte Vermögen des Antragstellers bildete, entsprach. Für seine Einlage wurden dem Antragsteller ... Stückaktien im Nennbetrag von ... DM (= x DM) gewährt. Der Antragsteller verfügte damit über ... (die Mehrheit) des Kapitals der KGaA, während die B y % inne hatte ... Laut Ausgliederungsvertrag sollte der Ausgliederungsstichtag der 31. Dezember 1998 ... sein. ...
Der Antragsgegner ging daraufhin bei der Bearbeitung der Steuererklärungen für 1998 davon aus, dass durch die Überführung des Grundstücks aus dem beim Antragsteller vorhandenen Bereich der Vermögensverwaltung in das Vermögen der KGaA zum vorgesehenen Stichtag 31. Dezember 1998 der Grundsatz der satzungsgemäßen Vermögensverwendung verletzt worden sei, sodass die Steuervergünstigung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 Körperschaftsteuergesetz - KStG - nicht zu gewähren sei. Er unterwarf daher mit Bescheid über die Körperschaftsteuer für 1998 vom 12. Juli 2000 neben den vom Antragsteller erklärten Einkünften aus dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb auch dessen weitere Einkünfte der Körperschaftsteuer und erließ zudem einen Körperschaftsteuerbescheid für 1988 bis 1997 vom 1. September 2000, in dem er unter Berufung auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO für diese Jahre die Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG aufhob, weil der Antragsteller durch die Grundstückseinbringung in die KGaA „gegen den Grundsatz der Vermögensbindung gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 61 Abs. 3 AO verstoßen“ habe. Schwerwiegende Verstöße der tatsächlichen Geschäftsführung kämen einer Verwendung des gesamten Vermögens für satzungsfremde Zwecke gleich.
Infolge der rückwirkenden Aberkennung der Gemeinnützigkeit ging der Antragsgegner für die Streitjahre 1990 und 1991 davon aus, dass sämtliche Umsätze des Antragstellers dem Regelsteuersatz nach § 12 Abs. 1 Umsatzsteuergesetz - UStG - im Gegensatz zu dem zuvor in den Bescheiden vom 8. Dezember 1993 über die Umsatzsteuer für 1990 und vom 18. Mai 1992 über die Umsatzsteuer für 1991 erklärungsgemäß gewährten ermäßigten Steuersatz (§ 12 Abs. 2 Nr. 8 a UStG) unterlägen. Er nahm daher mit Bescheiden vom 28. September 2000 unter Berufung auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung - AO - Änderungen vor, die zu den im Tenor dieser Entscheidung bezifferten Mehrbelastungen des Antragstellers führten. Über die gegen die Bescheide eingelegten Einsprüche ist noch nicht entschieden worden. Anträge auf Aussetzung der Vollzi...