rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Kassenbuchführung des Inhabers eines Friseurgeschäfts mit dem besonderen Geschäftszweig „Haarverlängerung”. Berechtigung zur Hinzuschätzung bei nicht nachvollziehbaren Uraufzeichnungen und nur rechnerisch ermittelten Kassenbeständen. keine Verpflichtung des FG zu einer eigenständigen Nachkalkulation im AdV-Verfahren. Unsicherheitszuschlag von 10 %
Leitsatz (redaktionell)
1. Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass der Inhaber eines Friseurgeschäfts mit dem besonderen Geschäftszweig „Haarverlängerung” zur Einzelaufzeichnung seiner Umsätze verpflichtet ist, dass er seine Einnahmeursprungsaufzeichnungen dann nicht aufbewahren muss, wenn deren Inhalt unmittelbar nach Auszählung der Tageskasse in das in Form aneinandergereihter Tageskassenberichte geführte Kassenbuch übertragen wird, und dass für die Ordnungsmäßigkeit einer allein auf einen täglichen Kassenbericht gestützten Kassenbuchführung erforderlich ist, dass der Kassenstand täglich nach Geschäftsschluss ausgezählt und nicht nur rechnerisch fortgeschrieben wird.
2. Beruhen die von dem Friseur geführten täglichen Kassenberichte lediglich auf der Weiterberechnung der vom Vortag übernommenen Kassenbestände und sind Grundlage dieser Weiterberechnung handschriftliche Aufzeichnungen in Gestalt von DIN-A-4-Blättern, die keine Uraufzeichnungen darstellen, da sie nicht im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Vereinnahmung der dort aufgeführten Entgelte, sondern auf der Grundlage von losen, im Wesentlichen undatierten und nicht durchgehend nummerierten Notizzetteln erstellt worden sind, und ist auch unklar, ob diese Notizzettel für sämtliche Öffnungstage des Betriebs vollständig vorliegen, so ist die im Kassenbericht jeweils eingetragene Summe nicht nachvollziehbar und die Kassenbuchführung somit nicht ordnungsgemäß.
3. Ist die Kassenbuchführung bei einem bargeldintensiven Betrieb nicht ordnungsgemäß und liegt zudem der erklärte Rohgewinn unter den Rohgewinnsätzen laut Richtsätzen, so besteht für die Finanzbehörde eine Befugnis und ein Anlass zur Hinzuschätzung von Erlösen.
4. Ist die Nachkalkulation des FA aufgrund nachträglich bekannt gewordener Fakten offensichtlich nicht zutreffend, so würde die Vornahme einer eigenständigen Nachkalkulation durch das FG ausgehend von den veränderten Kalkulationsgrundlagen den Rahmen einer dem gerichtlichen Verfahren der Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 FGO angemessenen summarischen Prüfung übersteigen (im Streitfall: wegen der erheblichen Bedeutung der Buchführungsmängel Anwendung eines Unsicherheitszuschlags in Höhe von 10 % auf die erklärten Umsätze durch das FG).
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1; EStG § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1; AO § 162 Abs. 1, 2 Sätze 1-2, § 146 Abs. 1 S. 2, § 158; UStG § 22 Abs. 1
Tenor
Die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 2011 vom 17.08.2016 und der Einkommensteuerbescheide 2012 und 2013 vom 04.08.2016 wird mit Wirkung vom Fälligkeitstag bis zum Ablauf eines Monats nach Ergehen einer Entscheidung über den gegen die vorgenannten Bescheide anhängigen Einspruch oder dessen sonstiger Erledigung in der Weise ausgesetzt, dass für Zwecke der Aussetzung der Vollziehung von einem um 14.657,64 EUR in 2011, von einem um 25.345,34 EUR in 2012 und von einem um 10.836,83 EUR in 2013 geminderten Gewinn aus Gewerbebetrieb auszugehen ist.
Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden den Antragstellern zu 69 % und dem Antragsgegner zu 31 % auferlegt.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darum, ob der Antragsgegner die erklärten Gewinne zu Recht um Hinzuschätzungen erhöht hat.
Die Antragsteller sind verheiratet und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Der Antragsteller betreibt unter der Bezeichnung „C.” als Einzelunternehmer ein Friseurgeschäft in D., das einen wesentlichen Teil seiner Umsätze mit Haarverlängerungen erzielt. Dazu erteilten ihm die Kundinnen – jedenfalls in einer größeren Zahl von Fällen – vorab schriftliche Aufträge, in denen für eine genauer vereinbarte Art und Zahl von Strähnen stets „glatte” Komplettpreise vereinbart wurden (nach den vorgelegten Unterlagen zwischen 125,– EUR und 900,– EUR; Anlage 6 zum Antragsschriftsatz, Bl. 63 – 102 Gerichtsakte –GA–). Seine Einkünfte ermittelte der Antragsteller durch Bestandsvergleich. Seine Ladeneinnahmen dokumentierte er durch handschriftliche Kassenberichte, in denen ein Anfangsbestand eingetragen wurde und sodann die Tageseinnahme. Von der danach berechneten Zwischensumme zog er die Geschäftsausgaben und als sonstige Ausgaben die mit Geldkarte bargeldlos beglichenen Umsätze sowie Bankeinzahlungen ab. Danach wurde der Endbestand ausgewiesen. Die vorliegenden Kassenberichte vom 01.11.2011, 01.03.2012, 04.10.2013 und 03.12.2013, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird (Bl. 44 – 48 Arbeitsbogen –AB– 146/15, Bl. 33 GA), weisen Kassenendbestände in Höhe von 3.866,84 EUR, 2.047,92 EUR, 8.587,42 EUR und 1.693,30 EUR aus. Daneben...