rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Regelungsgehalt des Ablehnungsbescheids einer Kindergeldkasse. Rechtsscheinwirkung der von einer anderen Kindergeldkasse erlassenen Einspruchsentscheidung. Verstoß gegen die sachliche Zuständigkeit. Kostenentscheidung bei Umstellung eines Sachantrags auf den Antrag auf Aufhebung der Einspruchsentscheidung
Leitsatz (redaktionell)
1. Regelungsgehalt des Ablehnungsbescheids einer Kindergeldkasse ist die verbindliche Feststellung, dass der Antragsteller gegen diese Familienkasse kein keinen Anspruch auf Kindergeld (für ein bestimmtes Kind für einen bestimmten Zeitraum) hat. Über Ansprüche gegen andere Behörden, etwa gegen andere Kindergeldkassen, ist damit keine Aussage getroffen.
2. Hat eine andere Kindergeldkasse über den Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid entschieden, so geht von dieser Einspruchsentscheidung der Rechtsschein aus, es sei bereits entschieden, dass (auch) gegen die andere Familienkasse kein Anspruch auf Kindergeld bestehe. Die auf Aufhebung der Einspruchsentscheidung gerichtete Klage ist daher zulässig.
3. Bei der Regelung in § 367 Abs. 1 S. 1 AO, woanach diejenige Finanzbehörde über den Einspruch entscheidet, die den ursprünglichen Ausgangsbescheid erlassen hat, handelt es sich um eine Regelung über die sachliche, nicht über die örtliche Zuständigkeit.
4. Die von der danach sachlich unzuständigen Behörde erlassene Einspruchsentscheidung ist auch dann aufzuheben, wenn die Ausgangsbehörde unzuständig war und die Behörde, die die Einspruchsentscheidung erlassen hat, für die Ausgangsentscheidung zuständig gewesen wäre.
5. Die Umschreibung der besonderen Zuständigkeiten gem. Anlage 2 Nr. 2.2 des Beschlusses Nr. 21/2013 v. 18.4.2013 des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit, der der Familienkasse Sachsen bestimmte Fälle mit Auslandsbezug zuweist, regelt eine sachliche und keine örtliche Zuständigkeit. Ob die genannten Vorschriften möglicherweise unwirksam sind, weil sie unklar und uneindeutig sind, kann offenbleiben.
6. Begehrt der Kläger, nachdem er ursprünglich eine begünstigende Sachentscheidung begehrt hatte, nur noch die Aufhebung der Einspruchsentscheidung, ist dies im Erfolgsfalle mit einem Obsiegen lediglich zur Hälfte des ursprünglich Verlangten zu bewerten.
Normenkette
FGO § 40 Abs. 2, § 63 Abs. 1-2, § 136 Abs. 1; AO § 367 Abs. 1 Sätze 1-2, §§ 125, 127, 19 Abs. 1 S. 1, § 16; FVG § 5 Abs. 1 Nr. 11 S. 4
Nachgehend
Tenor
Die Einspruchsentscheidung vom 02.12.2014 wird aufgehoben.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin und die Beklagte je zur Hälfte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Kindergeld mit Auslandsbezug, wobei es zunächst um die Zuständigkeit der Familienkasse, insbesondere für das Einspruchsverfahren, geht.
I.
In den amtlichen Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit (ANBA) Mai 2013, erschienen am 06.06.2013, wurde der Beschluss Nr. 21/2013 vom 18.04.2013 des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit (BA) über die Zuständigkeiten der Familienkassen ab 01.05.2013 veröffentlicht. Gemäß Anlage 2 Nr. 1 (Regelzuständigkeit) ist für Antragsteller, die einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in den Bezirken der Agentur für Arbeit (u. a.) Berlin Mitte, Berlin Nord und Berlin Süd haben, die Familienkasse Berlin-Brandenburg in Potsdam zuständig. Gemäß Anlage 2 Nr. 2 (Besondere Zuständigkeiten) Punkt 2.2 ist die Familienkasse Sachsen in Chemnitz zuständig, wenn auf den Anspruchsberechtigten oder einen anderen Elternteil über- bzw. zwischenstaatliche Rechtsvorschriften anzuwenden sind und der Anspruchsberechtigte oder der andere Elternteil bzw. ein anspruchsbegründendes Kind ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt in (u. a.) Polen haben oder aus sonstigen Gründen (z. B. einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit) den dortigen Rechtsvorschriften unterliegen oder von dort Rente beziehen.
II.
Die Klägerin ist ausschließlich in C. wohnhaft und seit 01.10.2013 dort versicherungspflichtig beschäftigt (KG-A Bl. 5; die angegebenen Blattzahlen sind die maschinenschriftlichen Mitte unten, nicht die handschriftlichen rechts oben); ihren früheren Wohnsitz in Polen hat sie aufgegeben (KG-A Bl. 24). Von ihrem Ehemann wurde sie mit Urteil des Bezirksgerichts Szczecin (Stettin) vom 16.01.2013, rechtskräftig seit 07.02.2013 (KG-A Bl. 10), geschieden. Ihr geschiedener Ehemann wohnt in H. (Polen). Der 1989 geborene Sohn wohnt in C. unter anderer Anschrift (KG-A Bl. 2, 56) und studierte im Studienjahr 2013/2014 im ersten Semester Germanistik an der I. Universität (Polen); er hält sich dann dort in einem Studentenwohnheim auf (KG-A Bl. 39). Die 1991 geborene Tochter, bezüglich derer d...