rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Anmietung einer zweiten Wohnung am Arbeitsort in unmittelbarer Nähe zur Arbeitsstätte, um die an Parkinson leidende Ehefrau mehrfach täglich kurzfristig pflegen zu können: kein Steuerabzug im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung oder als außergewöhnliche Belastungen. Aufwendungen des Steuerpflichtigen für die krankheitsbedingt pflegebedürftige Mutter in ihrer eigenen Wohnung als außergewöhnliche Belastungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Eine doppelte Haushaltsführung ist nicht gegeben, wenn der Steuerpflichtige in einer Wohnung am Beschäftigungsort einen (beruflich veranlassten) Zweithaushalt führt und auch der vorhandene „eigene Hausstand” am Beschäftigungsort belegen ist. Das gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige mehrfach täglich seine schwer erkrankte (Parkinson) Ehefrau pflegen und medizinisch unterstützen will und deswegen am Arbeitsort neben der bei Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel ca. 35 bis 40 Fahrminuten von der Arbeitsstätte entfernten Hauptwohnung in unmittelbarer Nähe zur Arbeitsstätte eine weitere Wohnung anmietet, um bei Bedarf jederzeit kurzfristig seine Ehefrau unterstützen zu können und so die Unterbrechungen der Arbeitszeiten zeitlich deutlich reduzieren zu können.
2. Nur wenn die Wohnung beruflichen Zwecken dient, kommt es auf die Gründe für die Beibehaltung einer doppelten Haushaltsführung nicht mehr an. Dass auch außerhalb der Person des Steuerpflichtigen liegende Gründe – wie die Krankheit des Ehegatten – Umstände sein können, die im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung zu einer Unzumutbarkeit der Fahrstrecke führen können, auch wenn der Hauptwohnsitz und die Arbeitsstätte in einer Stadt liegen, lässt sich der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht entnehmen.
3. Die Aufwendungen für die Anmietung der zweiten Wohnung sind auch nicht als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähig, wenn die Anmietung in erster Linie der angenehmeren Gestaltung der Pflegesituation dient, keine gezielte therapeutische Maßnahme darstellt und insofern auch nicht medizinisch indiziert ist. Das gilt auch dann, wenn die Ehegattin eine Dauerinfusion mittels einer Minipumpe benötigt, die Nadel hierzu täglich mehrfach gewechselt sowie die Pumpe befüllt werden muss und Ehegattin das aufgrund ihres Gesundheitszustands nicht selbst erledigen kann.
4. Aufwendungen für die krankheitsbedingte häusliche Pflege der pflegebedürftigen Mutter in ihrer eigenen Wohnung sind als Krankheitskosten nach § 33 EStG abzugsfähig, soweit sie die Einkünfte der Mutter übersteigen, also von ihr nicht selbst getragen werden können. Zu den Pflegeaufwendungen gehören nicht nur die Aufwendungen auf die sogenannte Grundpflege im Sinne des § 14 Abs. 4 Nr. 1-3 SGB XI (Körperpflege, Ernährung und Mobilität), sondern auch Aufwendungen im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung. Aufwendungen für Betreuungskräfte (hier: wechselnde polnische Pflegekräfte) sind jedoch der Höhe nach nur abzugsfähig, soweit sie einen angemessenen Anteil nicht übersteigen.
5. Ist für die Mutter zwar „nur” die Pflegestufe 2 (Pflegegrad 3) festgestellt, sind jedoch die Merkzeichen G, B, aG, H, RF anerkannt, so sind die Kosten des Pflegedienstes in voller Höhe als angemessen anzuerkennen, wenn die Mutter des Steuerpflichtigen im Rollstuhl sitzt, nicht gehfähig ist, nicht das Bad alleine aufsuchen, auch nicht selbst Einkäufe für den täglichen Bedarf machen oder Speisen zubereiten kann und folglich im Haushalt auf ständige Hilfe angewiesen ist. Es ist dannr kein prozentualer Abschlag vorzunehmen, auch eine minutengenaue Berechnung der nötigen hauswirtschaftlichen Versorgung ist in diesem Fall nicht erforderlich.
6. Die Einkünfte der Mutter können nicht um den Eigenanteil der Tagespflege gemindert werden, wenn der Mutter insofern in entsprechender Höhe ein Entlastungsbetrag gemäß § 45b Abs. 1 SGB XI zusteht.
7. Ein gem. § 37 SGB XI erhaltenes Pflegegeld ist belastungsmindernd abzuziehen (FG Baden-Württemberg, Urteil v. 21.6.2016, 5 K 2714/15, EFG 2016 S. 1258).
8. Werden die Kosten für Unterkunft und Verpflegung der im Haushalt der Mutter lebenden Pflegekräfte nicht glaubhaft gemacht, so sind insoweit die Werte der Sozialversicherungsentgeltverordnung –SvEV– zu berücksichtigen (vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil v. 21.6.2016, 5 K 2714/15, EFG 2016 S. 1258).
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5 Sätze 1-2, § 33 Abs. 1, 2 S. 1, Abs. 3; SGB XI §§ 37, 45 Abs. 1; SvEV § 2
Tenor
Abweichend von den Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 2016 und 2017 vom 14.10.2021 wird die Einkommensteuer unter Berücksichtigung von weiteren außergewöhnlichen Belastungen in Höhe von 7.508,98 EUR für 2016 und 5.530,43 EUR für 2017 festgesetzt.
Die Berechnung der Einkommensteuer wird dem Beklagten auferlegt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden zu 47 % den Klägern und zu 53 % dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheits...