rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung des gegen den ehemaligen Geschäftsführer einer UG ergangenen Körperschaftsteuer-Haftungsbescheids infolge von Ermessensfehlern des Finanzamts bei der Haftungsinanspruchnahme. Geschäftsführerhaftung infolge unterlassener Berichtigung der vom früheren Geschäftsführer erstellten Steuererklärungen sowie wegen Verletzung der Vermögensvorsorgepflicht
Leitsatz (redaktionell)
1. Um eine fehlerfreie Ermessensentscheidung bei der Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners treffen zu können, ist es seitens der Finanzbehörde erforderlich, den Sachverhalt umfassend und einwandfrei zu ermitteln. Mangelt es an Sachverhaltsermittlungen, die den Beitrag eines Haftungsschuldners zur eingetretenen Steuerverkürzung betreffen und die deshalb bei der Ermessenswürdigung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht fehlen, so ist der Haftungsbescheid ermessensfehlerhaft und deswegen aufzuheben.
2. Bei einer Haftungsinanspruchnahme des ehemaligen Geschäftsführers für Körperschaftsteuerverbindlichkeiten einer UG ist es ermessensfehlerhaft, wenn das Finanzamt nicht spätestens in seiner Einspruchsentscheidung weitere konkret sachverhaltsbezogene Ausführungen zu dem Einwand des Geschäftsführers gemacht hat, er habe sich bei der Unterzeichnung und Einreichung der Körperschaftsteuererklärung bezüglich schwieriger steuerlicher Fragen (unter anderem Vorliegen einer verdeckten Gewinnausschüttung; Bewertung erworbener Gesellschaftsanteile) auf die fachliche Einschätzung der Sach- und Rechtslage durch die für die UG tätige Sozietät aus Steuerberatern und Rechtsanwälten verlassen und wenn das Finanzamt die Haftungsinanspruchnahme einer weiteren späteren Mitgeschäftsführerin mit teils rechtlich unrichtigen Argumenten abgelehnt hat.
3. Die Nachfolge-Geschäftsführerin einer Kapitalgesellschaft kann ggf. vom Finanzamt unter Berufung auf § 69 AO in Verbindung mit § 34 AO persönlich in Haftung genommen werden, wenn sie es pflichtwidrig unterlässt, fehlerhafte Steuererklärungen ihres Vorgängers, deren Unrichtigkeit sie erkannt hat, gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 AO zu berichtigen. Dies gilt selbst dann, wenn der vorherige Geschäftsführer um die Unrichtigkeit der von ihm abgegeben Steuererklärungen gewusst hat (vgl. BFH, Beschluss v. 7.3.2007, I B 99/06, BFH/NV 2007 S. 1801).
4. Verletzt eine UG-Mitgeschäftsführerin als gesetzliche Vertreterin der UG ihre Pflicht, finanzielle Mittel zur Entrichtung geschuldeter Steuern der UG bereitzuhalten, obwohl sie bereits vor Erlass entsprechender Steuerbescheide für die UG positive Kenntnis von der Existenz entsprechender Abgabenverbindlichkeiten der UG hat, wirkt die Verletzung dieser sogenannten Vermögensvorsorgepflicht, unabhängig von der Fälligkeit der Steuern, haftungsbegründend.
Normenkette
AO §§ 5, 34 Abs. 1, § 69 S. 1, § 153 Abs. 1 S. 1, §§ 166, 191 Abs. 1 S. 1; FGO § 102 Abs. 1; KStG § 8 Abs. 3 S. 2
Tenor
Der Haftungsbescheid vom 8. Juli 2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 23. September 2022 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Beklagte den Kläger als ehemaligen Geschäftsführer einer B… UG i. L. mit Sitz zuletzt in C… (künftig: UG) wegen rückständiger Körperschaftsteuer 2015 bis 2018 nebst Solidaritäts- und Säumniszuschlägen hierzu in Höhe von insgesamt 21 513,50 EUR persönlich in Haftung nehmen kann.
Die UG wurde durch notariell beurkundeten Gesellschaftsvertrag vom xx.xx.2010 (UR-Nr. … des Notars D… aus C…) mit Sitz in C…, E…-straße gegründet. Satzungsmäßiger Unternehmensgegenstand war „xxx”
Der 19xx geborene Kläger übernahm sämtliche Gesellschaftsanteile an der Gesellschaft und wurde zum alleinigen Geschäftsführer bestellt. Die steuerliche Vertretung der UG gegenüber dem Beklagten sowie die Erstellung der Bilanzen und Jahressteuererklärungen übernahm die Sozietät aus Steuerberatern und Rechtsanwälten F… aus G….
Die UG erzielte keine eigenen Umsätze, da ihr Zweck einzig und allein darin bestand, als Beteiligungsgesellschaft die persönliche Haftung für Bauprojekte zu übernehmen (siehe Gutachten von RA H… vom xx.xx.2022, Seite 11).
Die UG war ursprünglich mit einem Gesellschaftsanteil in Höhe von 50 v. H. an einer „I… & Co. OHG” (vormals: I… OHG: künftig: OHG) beteiligt. Unternehmensgegenstand der OHG war die Vermietung einer am xx.xx.2014 zu Eigentum erworbenen Immobilie als Asylbewerberunterkunft an die Stadt J…. Die Jahresveranlagungen der OHG wurden beim Finanzamt K… durchgeführt (Stnr.: …).
Mittels Geschäftsanteilsabtretungsvertrag vom xx.xx.2015 trat die UG, vertreten durch den Kläger, 44 v. H. der Gesellschaftsanteile an einer I… & Co. OHG an den Kläger ohne Vereinbarung einer Gegenleistung ab. Restliche 6 v. ...