Entscheidungsstichwort (Thema)
Billigkeitserlass von Kindergeldrückforderungen wegen vorheriger, nicht mehr revidierbarer Anrechnung auf SGB II-Leistungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist zu Unrecht gewährtes Kindergeld von der Familienkasse zurückgefordert worden, so ist ein Billigkeitserlass aus sachlichen Gründen nach § 227 AO gerechtfertigt und geboten, wenn das Kindergeld zuvor bei der Berechnung der Höhe von Sozialhilfeleistungen als die Sozialleistungen minderndes Einkommen angesetzt worden ist, eine nachträgliche Korrektur der Sozialleistungen verfahrensrechtlich nicht mehr möglich ist und der Kindergeldanspruchsberechtigte seine Mitwirkungs- bzw. Mitteilungspflichten nicht verletzt hat.
2. Es besteht keine generelle Verpflichtung der Familienkasse, einen Billigkeitserlass auszusprechen, wenn Kindergeld auf SGB-II Leistungen angerechnet wurde und es später mangels eines Kindergeldanspruchs zur Rückforderung des Kindergelds durch die Familienkasse kommt. Vielmehr ist im Billigkeitsverfahren das Verhalten des Kindergeldberechtigten, des Sozialleistungsträgers und der Familienkasse zu würdigen und abzuwägen.
Normenkette
AO §§ 227, 5; FGO § 102; EStG § 31 S. 3, § 68; SGB II §§ 11-12
Nachgehend
Tenor
Die Beklagte wird verpflichtet, den Bescheid vom 17. August 2012 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 14. Februar 2014 dahin gehend abzuändern, dass der Klägerin ein Betrag in Höhe von 736 EUR erlassen wird.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin ist die Mutter des Kindes B…, geboren am 1. September 1990. Für dieses Kind bezog die Klägerin zunächst Kindergeld.
B… schrieb am 5. Januar 2012 ausweislich der beigezogenen Akte der Familienkasse an das Jobcenter: „Die Kindergeldkasse hat mir für die Monate Januar 2011 bis April 2011 Kindergeld gezahlt, obwohl es mir gar nicht zugestanden hat. Ich hatte zwar auch dort meinen Gesellenbrief hingeschickt, aber mir wurde fälschlicherweise trotzdem Kindergeld gezahlt. …”.
Mit Bescheid vom 13. Oktober 2011 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für B… ab Januar 2011 auf und forderte von der Klägerin die Rückzahlung von für den Zeitraum Januar 2011 bis April 2011 gezahlten Kindergeldes in Höhe von 736 EUR. Zur Begründung ist in diesem Bescheid ausgeführt, B… habe eine Beschäftigung aufgenommen, die den Anspruch auf Kindergeld ausschließe. Festsetzungsaufhebung sowie Kindergeldrückforderung sind bestandskräftig.
Im Juni 2012 beantragte die Klägerin bei der Familienkasse den Erlass der Rückforderung des überzahlten Kindergeldes. Zur Begründung verwies sie darauf, dass das bezogene Kindergeld bei der Einkommensberechnung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) berücksichtigt worden sei. Ein diesbezüglich vor dem Sozialgericht C… geführter Prozess endete mit einer Klagerücknahme.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 17. August 2012 den Forderungserlass ab. Unbilligkeit liege vor allem deshalb nicht vor, weil die Klägerin Vermögen in Höhe von 1.800 EUR auf Nachfrage angegeben habe, welches sie zur Forderungstilgung einsetzen könne.
Die Klägerin legte dagegen am 5. September 2012 Einspruch ein und wies darauf hin, dass eine nachträgliche Korrektur nicht möglich sei. Ergänzend legte sie Änderungsbescheide des Jobcenters vor, aus denen sich die Kindergeldanrechnung für den Zeitraum 1. Januar 2011 bis 30. Juni 2011 ergab.
Mit Einspruchsentscheidung vom 14. Februar 2014 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Zwar habe die Klägerin Unterlagen vorgelegt, aus denen sich ergebe, dass das Kindergeld in den Monaten Januar 2011 bis März 2011 bei der Gewährung der Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II als Einkommen von B… in Höhe von 184 EUR monatlich berücksichtigt worden sei. Die Voraussetzungen für einen Erlass der Rückforderungsbeträge gemäß § 227 Abgabenordnung (AO) lägen dennoch nicht vor.
Eine sachliche Unbilligkeit sei nicht ersichtlich. Den Bescheid, der die Rückforderung ausspreche, habe die Klägerin bestandskräftig werden lassen. Nach der Rechtsprechung komme ein Erlass regelmäßig jedoch nur in Betracht, wenn der in Anspruch Genommene das seinerseits erforderliche getan habe, um die richtige Festsetzung zu erreichen. Im Übrigen sei die Festsetzung des Kindergelds ab Januar 2011 zu Recht aufgehoben worden. Soweit der Bundesfinanzhof – BFH – mit Urteil vom 22. September 2011, Az. III R 78/08, ausgeführt habe, dass ein Billigkeitserlass nach § 227 AO gerechtfertigt sein könne, wenn das Kindergeld bei der Berechnung der Höhe der Sozialhilfeleistungen als Einkommen angesetzt worden sei und eine nachträgliche Korrektur di...