Entscheidungsstichwort (Thema)

Ärztliche Heilbehandlung. Nebenleistungen, Leistungen eines medizinischen Versorgungszentrums aufgrund von Kooperationsverträgen mit Pflegeheimen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Begriff „ärztliche Heilbehandlung” im Sinne des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG kann nicht auf sämtliche Leistungen, die mit der Behandlung von Patienten zusammenhängen, ausgedehnt werden.

2. Ist ein bei isolierter Betrachtung steuerpflichtiges Leistungselement Nebenleistung zu einem steuerfreien Leistungselement, ist insgesamt die Steuerbefreiung anzuwenden.

3. Im Streitfall waren die Umsätze eines medizinischen Versorgungszentrums, die gemäß mit Pflegeheimen geschlossenen Kooperationsverträgen (sog. „Care-Plus”-Verträge) zur integrierten Versorgung der Heimbewohner erbracht wurden (Regelvisite, Rufbereitschaft, Rund-um-die-Uhr-Versorgung, Fallbesprechung in multiprofessionellen Teams, Überweisungen und Konsultation anderer Fachärzte, Rezept und Überprüfung der Medikation, Organisation der Vertretung) als medizinische Leistungen oder damit zusammenhängende Nebenleistungen insgesamt steuerfrei.

 

Normenkette

UStG § 4 Nr. 14 Buchst. a, b, § 1 Abs. 1 Nr. 1; EGRL 112/2006 Art. 132 Abs. 1 Buchst. b, c

 

Tenor

Unter Änderung der Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2014, 2015 und 2016 und der Zinsbescheide dazu vom 19.03.2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.12.2021 werden die Umsatzsteuer für die Jahre 2014 bis 2016 sowie die Zinsen dazu jeweils auf 0,00 EUR festgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darum, ob die von der Klägerin erbrachten Leistungen aus sogenannten Care-Plus-Verträgen als medizinische Leistungen steuerfrei sind.

Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts –GbR– und betreibt als solche ein medizinisches Versorgungszentrum –MVZ–.

In den Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre 2014, 2015 und 2016 (nicht paginierte Umsatzsteuerakte –UStA–) gab die Klägerin nur steuerfreie Umsätze an.

Die Klägerin nahm in den Streitjahren an der hausarztzentrierten Versorgung –M…– gemäß § 73b Sozialgesetzbuch V –SGB V– teil. Die eingeschriebenen Patienten verpflichten sich hierbei schriftlich gegenüber der Krankenkasse, nur einen von ihnen aus dem Kreis der teilnehmenden Hausärzte ausgewählten Arzt in Anspruch zu nehmen sowie ambulante fachärztliche Behandlung mit Ausnahme der Leistungen der Augenärzte und Frauenärzte nur auf dessen Überweisung.

Ferner bestanden seitens der Klägerin in den Streitjahren Kooperationsverträge mit Pflegeheimen (B… GmbH, C… GmbH und D… GmbH) zur integrierten Versorgung der Heimbewohner nach § 92b SGB XI und § 140a SGB V. Diesen Kooperationsverträgen liegt folgende Gestaltung zugrunde: Ein niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin schließt mit Alten- und Pflegeheimen Verträge über die medizinische Versorgung von Heimbewohnern. Ziel der Verträge ist, sowohl das Hin- und Herpendeln der Bewohner zwischen Krankenhaus und Pflegeheim zu vermeiden, als auch die Krankheitskosten zu senken. Die Leistungen des Arztes umfassen: u.a. regelmäßige Visiten einschl. ggf. notwendiger Sofortbehandlungen „Bedside”-Diagnostik), Rufbereitschaft in der Nacht und außerhalb der üblichen Dienstzeiten und die Koordinierung des ärztlichen Therapieplans und der Medikation unter Einbeziehung mitbehandelnder Fachärzte und unter Integration des Heimpersonals. Im Streitfall wurde pro eingeschriebenem Heimbewohner und pro Belegungstag ein Betrag in Höhe von 1,60 EUR vom Pflegeheim an die Klägerin gezahlt. Die so erzielten Umsätze waren auf den Konten 8150 und 8151 verbucht.

Folgende Verträge wurden durch die Klägerin vorgelegt:

  • • Rahmenvertrag
  • • Vertrag zwischen E…, Praxissitz F…-GbR und der D… GmbH
  • • Vertrag zwischen G…, Praxissitz F…-GbR und der C… GmbH
  • • Vertrag zur ärztlichen Versorgung im Rahmen des Vertrages zur integrierten medizinischen und therapeutischen Versorgung von Bewohnern stationärer Pflegeeinrichtungen care plus zwischen dem Integrationsanbieter B… GmbH und den Krankenkassen und Pflegekassen aus 2011
  • • Vertrag zwischen dem Integrationsanbieter B… GmbH und Herrn H…, F…-GbR aus 2010

In § 1 Abs. 1 des Kooperationsvertrages mit B… GmbH zur integrierten Versorgung care-plus heiße es:

„Für eine besondere qualitätsgesicherte Versorgung der teilnehmenden Versicherten in vollstationären Pflegeeinrichtungen wird mit diesem Vertrag das vorhandene Versorgungsangebot in den Bereichen:

  • • ambulante ärztliche Behandlung,
  • • der Versorgung mit Heilmitteln und
  • • der stationären Pflegeleistungen nach dem SGB XI

gemäß § 92 b SGB XI i. V. m. § 140a ff. SGB V koordiniert und stru...

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