Entscheidungsstichwort (Thema)
Altersbedingt herabgesetzte Fertilität einer Frau keine der Empfängnisunfähigkeit vergleichbare Krankheit, Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung in diesem Fall keine außergewöhnliche Belastungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Erfolgt die künstliche Befruchtung mit dem Ziel, die auf einer „Krankheit” der Frau (Empfängnisunfähigkeit) oder des Mannes (Zeugungsunfähigkeit) beruhende Kinderlosigkeit zu beheben, so sind die Aufwendungen für die künstliche Befruchtung als Behandlung der Sterilität als außergewöhnliche Belastungen abziehbar, wenn die Behandlung in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte vorgenommen wird; insoweit kommt es weder auf den Familienstand der Frau noch darauf an, ob sie mit einem männlichen Partner oder in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt.
2. Beruht aber eine objektiv feststellbare herabgesetzte Fertilität nicht auf anormalen organischen Ursachen, sondern auf dem fortgeschrittenen Alter eines Menschen, so handelt es sich in diesem Fall gerade nicht um einen einer Krankheit gleichzustellenden „regelwidrigen” Körperzustand, sondern um die Folge eines natürlichen biologischen Vorgangs (Abgrenzung zu den Urteilen des FG München v. 20.5.2009, 10 K 2156/08 sowie des Niedersächsischen FG v. 20.10.2009, 15 K 495/08).
Normenkette
EStG § 33 Abs. 1, 2 S. 1
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob Aufwendungen der Klägerin für eine künstliche Befruchtung im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung bei der Einkommenbesteuerung als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind.
Die im Dezember 1974 geborene Klägerin erzielte im Jahr 2015 (Streitjahr) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie aus Vermietung und Verpachtung. In ihrer Einkommensteuererklärung machte die unverheiratete Klägerin Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung in Höhe von 12.531,85 EUR geltend. Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Aufwendungen ebenso unstreitig wie der Umstand, dass die Klägerin diese Kosten selbst getragen hat.
Der Beklagte forderte die Klägerin auf, Nachweise für die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen beizubringen. Beispielsweise fehle der Nachweis, ob die Klägerin keine Kinder bekommen oder ob der Lebensgefährte der Klägerin keine Kinder zeugen könne. Die Klägerin antwortete hierauf, eine medizinische Indikation müsse nicht nachgewiesen werden; die Rechtsprechung (Hinweis auf Urteil des Bundesfinanzhofs [BFH] vom 16. Dezember 2010 – VI R 43/10) verlange insoweit keine Dokumentation.
Der Beklagte setzte daraufhin die Einkommensteuer für 2015 mit Bescheid vom 7. Oktober 2016 nach einem zu versteuernden Einkommen von 73.777 EUR auf 22.255 EUR fest; dabei ließ er die geltend gemachten Aufwendungen mangels Nachweises der Zwangsläufigkeit nicht zum Abzug zu. Den fristgemäß erhobenen Einspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 29. November 2016 als unbegründet zurück: Die Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung einer unverheirateten Frau, die den Nachweis der eigenen Unfruchtbarkeit nicht erbracht habe, könnten nicht als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, da es an der Zwangsläufigkeit fehle. Das von der Klägerin angeführte Urteil des BFH sei nicht einschlägig, da es sich bei den dortigen Klägern um Eheleute gehandelt habe.
Die Klägerin hat daraufhin am 27. Dezember 2016 Klage erhoben.
Sie meint, die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung der streitigen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen lägen vor, ohne dass sie (die Klägerin) ihre Unfruchtbarkeit nachweisen müsse. Bei einer künstlichen Befruchtung/Kinderwunschbehandlung müsse der Eingriff nicht notwendigerweise zum Zweck der Heilung oder Linderung eines möglicherweise zeugungsunfähigen Partners erfolgen. Vielmehr genüge es, wenn die künstliche Befruchtung des gesunden Partners zur Erfüllung des Wunsches nach einem Kind diene. Anders als bei anderen Krankheiten könne eine Linderung bzw. Behebung der Kinderlosigkeit unabhängig von deren Ursache nur durch die Behandlung beider Partner stattfinden.
Auf die Vorlage eines ärztlichen Attests über eine körperliche Erkrankung bei ihr (der Klägerin) komme es danach nicht an. Die Kosten seien durch die anhaltende Kinderlosigkeit bei ihr und ihrem Lebensgefährten entstanden. Eine ungewollte Kinderlosigkeit basiere, sofern keine körperlichen Ursachen feststellbar seien, immer auf psychischen Ursachen; dem gemäß liege immer eine Krankheit (definiert als eine Störung körperlicher oder seelischer Vorgänge) vor.
Auch komme es nicht darauf an, ob die Kinderwunschbehandlung von einem verheirateten oder unverheirateten Paar in Anspruch genommen worden sei. In der heutigen Gesellschaft bestehe eine zu schützende Familie nicht zwangsläufig nur bei verheirateten Paaren; schützenswert sei bei einer Kinderwunschbehandlung vielmehr die Familie als Lebensgemeinschaft.
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