Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit einer Erbschaftsteuerfestsetzung für einen am 25.10.2016 und damit in der Zeit zwischen dem Ablauf der Weitergeltungsanordnung aus dem Urteil BVerfG, Urteil v. 17.12.2014, 1 BvL 21/12, BStBl 2015 II S. 50 und der Verkündung des „Gesetzes zur Anpassung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts”, ErbStAnpG 2016 v. 4.11.2016, BGBI 2016 I S. 2464, eingetretenen Erbfall
Leitsatz (redaktionell)
1. Aus der Weitergeltungsanordnung in dem Urteil BVerfG, Urteil v. 17.12.2014, 1 BvL 21/12, BStBl 2015 II S. 50, folgt eindeutig, dass das verfassungswidrige ErbStG 2009 nicht über den 30.6.2016 hinaus angewendet wird. Es lässt sich auch aus § 35 BVerfGG keine Rechtsgrundlage für eine Fortgeltung des ErbStG 2009 über den 30.6.2016 hinaus herleiten; das ErbStG 2009 ist für Erwerbe ab dem 1.7.2016 zunächst unanwendbar geworden.
2. Im Streitfall bleibt offen, ob die in Art. 3 ErbStAnpG 2016 angeordnete rückwirkende Anwendung ab dem 1.7.2016 eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage für die Besteuerung von Erbfällen zwischen dem 1.7.2016 und dem Tag der Vorlage einer Beschlussempfehlung durch den Vermittlungsausschuss (22.9.2016) oder dem Tag der Beschlussfassung des Bundestages (29.9.2016) oder der Zustimmung des Bundesrates zum ErbStAnpG 2016 (14.10.2016) darstellt. Unter Berücksichtigung der BVerfG-Rechtsprechung zum Vertrauensschutz und zum Rückwirkungsverbot sowie durch eine Auslegung im Wege geltungserhaltender Reduktion ist jedenfalls eine ausnahmsweise verfassungsrechtlich zulässige Rückwirkung des ErbStAnpG 2016 für Erbschaft- und Schenkungsteuerfälle anzunehmen, die spätestens nach der Zustimmung des Bundesrates zum Beschluss des Bundestages, also nach dem 14.10.2016 eingetreten ist (im Urteilsfall: Erbfall am 25.10.2016).
Normenkette
ErbstAnpG 2016 Art. 3 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 105 Abs. 3; BVerfGG § 35; ErbStG 2016; ErbStG 2009 §§ 19, 13a, 13b
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens werden der Klägerin auferlegt.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob für den am 25. Oktober 2016 eingetretenen Erbfall, der in die Zeit zwischen dem Ablauf der Weitergeltungsanordnung aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts –BVerfG– vom 17. Dezember 2014, 1 BvL 21/12, Bundessteuerblatt –BStBl– II 2015, 50 und der Verkündung des „Gesetzes zur Anpassung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts” vom 04. November 2016 (Bundesgesetzblatt –BGBI– I 2016, 2464, ErbStAnpG 2016) fällt, Erbschaftsteuer festgesetzt werden darf.
Das BVerfG verkündete am 17. Dezember 2014 in dem Verfahren 1 BvL 21/12 folgende Entscheidung:
- Mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes sind seit dem Inkrafttreten des Erbschaftsteuerreformgesetzes zum 1. Januar 2009 unvereinbar § 13a des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Beschleunigung des Wirtschaftswachstums (Wachstumsbeschleunigungsgesetz) vom 22. Dezember 2009 (Bundesgesetzblatt I Seite 3950) und § 13b des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts (Erbschaftsteuerreformgesetz) vom 24. Dezember 2008 (Bundesgesetzblatt I Seite 3018) jeweils in Verbindung mit § 19 Absatz 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Februar 1997 (Bundesgesetzblatt I Seite 378), auch in den seither geltenden Fassungen.
- Das bisherige Recht ist bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 30. Juni 2016 zu treffen.
Beanstandet hat das BVerfG dabei die Ausgestaltung der erbschaftsteuerlichen Begünstigungen des Betriebsvermögens. Die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung des Unternehmensüberganges nach Maßgabe der §§ 13a und 13b ErbStG 2009 erfasse notwendig auch die Besteuerung des unentgeltlichen Übergangs von nichtbegünstigtem (Privat-)Vermögen. Dem sei dadurch Rechnung zu tragen, dass auch die Verfassungswidrigkeit des § 19 Abs. 1 ErbStG 2009 festgestellt werde, woraus sich wiederum die Verfassungswidrigkeit der Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung nach dem ErbStG 2009 in Gänze ergebe. Die gleichwohl angeordnete zeitlich begrenzte Fortgeltung des verfassungswidrigen Erbschaftsteuergesetzes finde ihre Rechtfertigung in der öffentlich-rechtlichen Haushaltsplanung.
Ende März 2016 äußerte sich u.a. der Pressesprecher des Bundesverfassungsgerichts dahingehend, dass er von einer Fortgeltung der verfassungswidrigen Vorschriften auch über den 30. Juni 2016 hinaus ausgehe, wenn sich die Politik nicht bis zum 1. Juli 2016 auf eine Reform der Erbschaftsteuer einige. Auch die Finanzverwaltung teilte in gleichlautenden Ländererlassen vom 21.06.2016 (BStBl I 2016, 646) mit, dass das bisherige Recht bis zu einer Neuregelung auch für Erbfälle und Schenkungen nach dem 30. Juni 2016 gelte.
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