rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertagungsantrag unmittelbar vor Beginn der mündlichen Verhandlung. öffentliche Zustellung an eine im Melderegister nicht verzeichnete Person

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein Beteiligter, der unmittelbar vor Beginn der mündlichen Verhandlung einen Vertagungsantrag stellt, hat diesen unaufgefordert glaubhaft zu machen, indem er im Falle der Erkrankung ein ärztliches Attest vorlegt, aus dem sich eindeutig die Verhandlungsunfähigkeit des Beteiligten ergibt, oder eine so genaue Schilderung der Erkrankung samt Glaubhaftmachung übermittelt, dass das Gericht die Schwere der Erkrankung selbst beurteilen kann.

2. Es entspricht der Lebenserfahrung, dass Melderegistereintragungen fehlerhaft sein können, weil entweder Personen als gemeldet verzeichnet werden, die sich unter der Meldeanschrift nicht aufhalten oder umgekehrt Personen nicht gemeldet sind, obwohl sie einen festen Wohnsitz haben. Es ist daher nicht gerechtfertigt, ohne weitere Ermittlungen öffentliche Zustellungen an eine Person vorzunehmen, die im Melderegister nicht verzeichnet ist.

 

Normenkette

ZPO § 227; VwZG § 15 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 11.08.2010; Aktenzeichen VIII B 92/10)

 

Tenor

Abweichend von den Einkommensteuerbescheiden 1994 und 1995 vom 3. Juli 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14. Juli 2004 wird die Einkommensteuer unter Berücksichtigung von Einnahmen des Klägers aus Kapitalvermögen in Höhe von 165.000,– DM in 1994 und 150.000,– DM in 1995 festgesetzt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger zu 4/5 und dem Beklagten zu 1/5 auferlegt.

 

Tatbestand

Der Kläger erzielte in den Streitjahren unter anderem Einkünfte aus Kapitalvermögen. Weder der Kläger noch die zusammen mit ihm veranlagte Ehefrau A gaben Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre ab.

Wegen der steuerlichen Verhältnisse des Klägers nahm das Finanzamt M – Steuerfahndungsstelle – Steufa M – Ermittlungen auf. Während dieses Ermittlungsverfahrens teilte das Finanzamt Steufa O – Steuerfahndungsstelle – Steufa O – der Steufa M mit, dass der Kläger am 16.06.1993 einen Betrag von 1.750.000 DM auf ein Konto bei der Bank X in Luxemburg – … – transferiert habe. Ausgehend von dieser Mitteilung und einem angenommenen Zinssatz von 0,5 %/Monat schätzte die Steufa M in ihrem Bericht vom 07.12.1999 Einnahmen des Klägers aus Kapitalvermögen in Höhe von 52.500 DM in 1993, 105.000 DM in 1994 und 105.000 DM in 1995.

Am 25.04.2000 wies die Steufa O daraufhin, dass der Kläger Mitte 1993 mit einer weiteren Überweisung weitere 1.250.000 DM an die Bank X transferiert habe.

Am 05.01.2000 setzte der Beklagte mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheiden die Einkommensteuer 1993 auf 274.547 DM, die Einkommensteuer 1994 auf 277.761 DM und die Einkommensteuer 1995 auf 139.974 DM fest. Dagegen legte der Kläger am 28.01.2000 Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens wurden die Einkommensteuerbescheide wiederholt geändert.

Nachdem der Kläger am 26.09.2003 unter der im Rubrum bezeichneten Anschrift an den Beklagten geschrieben hatte, gelangte zu einem nicht genau erkennbaren Zeitpunkt ein Vermerk der Sachbearbeiterin der Rechtsbehelfsstelle zur Akte, wonach für den Kläger keine Meldeanschrift mehr vorhanden sei. Dies nahm sie zum Anlass, die öffentliche Zustellung der am 14.07.2004 ergehenden Einspruchsentscheidung anzuordnen. Mit dieser Einspruchsentscheidung half der Beklagte den Einsprüchen des Klägers weitgehend ab, indem er die Einkommensteuer 1993 auf 33.699,25 EUR, die Einkommensteuer 1994 auf 39.101,56 EUR und die Einkommensteuer 1995 auf 21.866,93 EUR festsetzte. Dabei folgte er der Einschätzung der Steufa M und schätzte ergänzend weitere Zinsen aus der Anlage der erst später bekannt gewordenen 1.250.000 DM sowie aus der Anlage der nach Luxemburg transferierten Gelder im ersten Halbjahr 1993 hinzu. Dabei ging er von einem Zinssatz von 2,5 % für die Anlage im Inland und von 6 % für die Anlage in Luxemburg aus. Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt das Gericht auf Blatt 3 der Einspruchsentscheidung (Blatt 42 Einkommensteuerakte II) Bezug.

Nachdem der Kläger nach geänderten Einkommensteuerbescheiden gefragt hatte, übersandte der Beklagte ihm am 21.03.2006 eine Kopie der Einspruchsentscheidung. Daraufhin erhob der Kläger am 30.03.2006 Klage, die er beim Beklagten anbrachte.

Er macht geltend, der Beklagte habe die Einspruchsentscheidung zu Unrecht öffentlich zugestellt, weil er unter der im Rubrum genannten Anschrift durchgängig erreichbar gewesen sei.

In der Sache wendet der Kläger ein, dass der Beklagte überhöhte Schätzungen seiner Einnahmen aus Kapitalvermögen vorgenommen habe. Er habe lediglich Zinsen in Höhe von 102.765 DM in 1993, 126.633 DM in 1994 und 57.275 DM in 1995 erzielt. Er verweist auf Kontounterlagen, die er in Kopie eingereicht hat (Bl. 88 ff. der Gerichtsakte). Die nach Luxemburg transferierten Gelder hätten von Konten seiner Ehefrau und seiner Töchter gestammt, so dass ihm keine...

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