Rechtsausführungen aufgehoben und zurückverwiesen durch BFH Urteil XI R 15/16 vom 23. 1. 2019
Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerbefreiung einer überwiegend durch Belegärzte Schönheitsoperationen erbringenden privaten Klinik nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 2005 in den Jahren 2005 und 2006 sowie nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der MwStSystRL im Jahr 2013
Leitsatz (redaktionell)
1. Voraussetzung für die Steuerbefreiung eines privaten Krankenhauses nach § 4 Nr. 16 Buchst. b) UStG in der in den Jahren 2005 und 2006 gültigen Fassung i. V. m. § 67 Abs. 2 AO ist, dass im jeweiligen Vorjahr nicht mehr als 60 % der jährlichen Belegungs- oder Berechnungstage auf Patienten entfielen, die sonstige gesondert berechenbare Leistungen in Anspruch nahmen (vgl. BFH-Urteil v. 25.11.1993, V R 64/89). Gesonderte berechenbare Leistungen i. d. S. sind Wahlleistungen hinsichtlich der Unterkunft (Belegung eines Ein- oder Zweibettzimmers) oder der Arztwahl (Chefarztbehandlung).
2. Die Leistungen von Belegärzten gehören nicht zu den allgemeinen Krankenhausleistungen (§ 2 Abs. 1 S. 2 BPflV). Auch bei privaten Kliniken, die nicht nur Belegärzte, sondern auch einen eigenen ärztlichen Dienst haben, können die Belegungstage der von Belegärzten behandelten Patienten nur in die nach § 67 AO begünstigten Tage einbezogen werden, wenn der Belegarzt den Patienten gegenüber nach Kassengrundsätzen abrechnet; insoweit kommt es nicht darauf an, ob in den Abrechnungen der Belegärzte gegenüber den Patienten Ein-/Zweibettzimmerzuschläge enthalten sind. Hierfür trägt die Klinik die Feststellungslast. Da § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. nach der BFH-Rechtsprechung nicht gegen Unionsrecht verstößt, kommt insoweit keine Steuerbefreiung durch unmittelbare Anwendung von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b der 6. EG-Richtlinie in Betracht.
3. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die auf die Patienten von Belegärzten entfallenden Belegungstage bei privaten Kliniken, die keine reinen Belegkliniken sind, ohne Weiteres zu den für die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG 2005 "günstigen" Tagen zu rechnen wären, wenn nur die Klinik selbst keine Wahlleistungen erbringt.
4. Betreibt der Unternehmer eine private Krankenanstalt, kann er sich für die Steuerfreiheit auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. b MwStSystRL gegenüber der aufgrund eines Bedarfsvorbehalts unionsrechtswidrigen Regelung in § 4 Nr. 14 Buchst. b S. 2 Doppelbuchst. aa UStG 2009 i. V. m. §§ 108, 109 SGB V berufen (Anschluss an BFH-Urteile v. 23.10.2014, V R 20/14; v. 18.3.2015, XI R 38/13). Die Steuerbefreiung unter Berufung auf diese unionsrechtliche Vorschrift setzt voraus, dass der Unternehmer eine ordnungsgemäß anerkannte, einer Einrichtung des öffentlichen Rechts, die Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen erbringt, gleichartige Einrichtung sein muss, die zudem ihre Leistungen in sozialer Hinsicht unter vergleichbaren Bedingungen erbracht haben muss wie die Einrichtungen des öffentlichen Rechts.
5. Bei der Frage, ob das Leistungsangebot einer privaten Klinik demjenigen der öffentlichen oder zugelassenen privaten Krankenhäusern vergleichbar ist, müssen auch die durch Belegärzte erbrachten Leistungen einbezogen werden, soweit sie nach Art und Umfang und nach dem Gesamtkonzept des Krankenhauses dessen Leistungsangebot prägen. Die Vergleichbarkeit des Leistungsangebotes ist nicht zu bejahen, wenn der Anteil der Ein- oder Zweibettzimmer der Privatklinik höher ist bei öffentlich-rechtlichen Krankenhäusern üblich (hier: 85 % der zur Verfügung stehenden Betten) und das nicht in der Art der angebotenen Behandlungen (hier: überwiegend Schönheitsoperationen) begründet ist. Machen die Belegarztpatienten einen wesentlichen Anteil aller Patienten der Klinik aus und werden die Belegarztleistungen wie eigene Leistungen der Klinik beworben, kommt eine Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der MwStSystRL nicht in Betracht, wenn nicht dargelegt wird, in welchem Umfang die von den Patienten aufzubringenden Behandlungskosten (einschließlich der von ihnen an die Belegärzte gezahlten Honorare) auf medizinisch nicht indizierte Behandlungen entfallen und ob sich die daraus ergebende Quote der privaten Klinik tatsächlich auf dem Niveau von Einrichtungen des öffentlichen Rechts bewegt.
6. Der Neutralitätsgrundsatz kann nicht die ausdrücklichen Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 132 Abs. 1 Buchst. b) MwStSystRL "überschreiben", sodass aus der fehlerhaften Beschränkung der nationalen Steuerbefreiung auf Krankenhäuser i. S. d. § 108 SGB V (also des zu engen Anwendungsbereichs der nationalen Befreiungsvorschrift) kein Anspruch aller Krankenhäuser auf die Steuerbefreiung (unabhängig von der sozialen Vergleichbarkeit) Befreiungsvorschrift folgt.
Normenkette
UStG 2005 § 4 Nr. 16 Buchst. b; AO § 67 Abs. 2; BPflV § 2 Abs. 1; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b, c; UStG § 4 Nr. 14 Buchst. b S. 2 Doppelbuchst. aa; MwStSystRL Art. 132 Abs. 1 Buchst. b, c; SGB V § 108
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