Entscheidungsstichwort (Thema)
Doppelerfassung eines Dividendenbezugs in der Einkommensteuererklärung. offenbare Unrichtigkeit. neue Tatsache. grobes Verschulden
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Irrtum darüber, welche Dividende bei zutreffender Auslegung eines Steuererklärungsformulars in ein bestimmtes Feld im Erklärungsformular einzutragen ist, stellt kein mechanisches Versehen bei der Willensäußerung dar, sondern ist das Ergebnis eines vom Erwartungshorizont des Formularerstellers offenbar abweichenden Vorgangs bei der rechtlichen Willensbildung, meist das Vorstadium der Willensäußerung.
2. Der Umstand, dass eine bezogene Dividende sowohl bei den Einkünften aus Kapitalvermögen als auch als Betriebseinnahme im Rahmen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb (also doppelt) Eingang in die Einkommensteuererklärung gefunden hat, stellt eine Tatsache im Sinne von § 173 AO dar.
3. Ein Überwachungsverschulden eines nicht den steuer- oder rechtsberatenden Berufen zugehörigen Steuerpflichtigen im Bereich der Besteuerung von Kapitalerträgen, dem Zusammenwirken von Kapitalertragsteuer und veranlagter Einkommensteuer und Abgeltungsteuer kommt nur in ganz wenigen, besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht.
4. Die Tatsache, dass die Finanzverwaltung – sicher auch infolge eines in Teilen kaum simplifizierbaren, überkomplexen Steuersystems mit unter großem Zeit- und Krisendruck entworfenen Gesetzen, Verwaltungsvorschriften, Anleitungen und Formularen – keinen Erfolg bei dem Versuch hatte, Erklärungsformulare und flankierende Anleitungen eindeutig und ohne verbleibende Interpretationsspielräume auszugestalten, schließt es aus, dem auf der anderen Seite des Steuerschuldverhältnisses mitwirkenden Steuerberater beim Ausfüllen dieses Formulars eine besonders grobe in Abgrenzung zu einer bloß einfach fahrlässigen Pflichtverletzung vorzuwerfen, wenn eine Fehleintragung aufgrund der mehrdeutigen Formularausgestaltung erfolgt.
Normenkette
AO §§ 129, 173 Abs. 1 Nr. 2; EStG § 20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 8, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Tenor
Der Beklagte wird verpflichtet, den Einkommensteuerbescheid 2017 vom 10.10.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.02.2021 dergestalt zu ändern, dass keine Einkünfte aus Kapitalvermögen des Klägers in Höhe von EUR 75.000,– berücksichtigt werden.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leisten.
Beschluss:
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Einkommensteuerbescheid 2017 vom 10.10.2018 aufgrund des klägerischen Änderungsantrags vom 24.09.2019 im Hinblick auf eine doppelt erfasste Dividende korrigiert werden muss.
Der Kläger war im Streitjahr sowie in den Jahren davor Alleingesellschafter-Geschäftsführer der C… GmbH, einer zur Nummer HRB … beim Amtsgericht D… ins Handelsregister eingetragenen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (nachfolgend: die GmbH). Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig, dass er im Streitjahr 2017 an seine GmbH im Wege einer Betriebsaufspaltung wesentliche Betriebsgrundlagen vermietete und somit Ausschüttungen der (Betriebs-)GmbH an den Kläger als Inhaber des Besitzunternehmens als dessen Einkünfte aus Gewerbebetrieb zu qualifizieren waren.
Aufgrund eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung der GmbH vom 16.10.2017 erhielt der Kläger in 2017 eine Dividende aus der GmbH in Höhe von EUR 75.000,– ausbezahlt, auf die die GmbH ordnungsgemäß EUR 18.750,– Kapitalertragsteuer und EUR 1.031,25 Solidaritätszuschlag einbehielt und abführte.
Die Steuererklärungen für das Jahr 2017 wurden vom heutigen Klägerbevollmächtigten erstellt und am 29.08.2018 beim Beklagten elektronisch eingereicht.
Darin wurde für den Kläger zum einen ein Gewinn aus Gewerbebetrieb (Besitzunternehmen, „Vermietung und Verpachtung”, Zeile 4 der Anlage G) in Höhe von EUR 107.724,83 erklärt. Flankiert wurde diese Eintragung von der Eintragung in Zeile 13 der Anlage G, dass in dem Betrag von EUR 107.724,– Erträge in Höhe von EUR 30.000,– nicht enthalten seien, die durch das Teileinkünfteverfahren freigestellt seien.
Aus der zusammen mit der Erklärung 2017 eingereichten elektronischen Gewinn- und Verlustrechnung sowie einer flankierenden steuerlichen Überleitungsrechnung des klägerischen Besitzunternehmens für 2017 ergab sich, dass sich der gewerbliche Gewinn in Höhe von EUR 107.724,83 aus einem Jahresüberschuss von EUR 133.167,83 herleitete, in dem Erträge aus Beteiligungen an Kapitalgesellschaften in Höhe von EUR 75.000,– enthalten waren. Im Rahmen der steuerliche Überleitungsrechnung wurden zudem eine Abrechnung der i.R.d. Teileinkünfteverfahrens nach § 3 Nr. 40 Einkommensteuergesetz – EStG – steuerfreien Erträge in Höhe von EUR 30.000,– EUR sowie Zurechnungen nac...