rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwertung der im Rahmen einer Außenprüfung bei einem Berufsgeheimnisträger festgestellten Verhältnisse von dessen Mandanten
Leitsatz (redaktionell)
1. Es besteht ein Verwertungsverbot hinsichtlich der anlässlich einer Außenprüfung bei einem Berufsgeheimnisträger (hier: Rechtsanwalt) erlangten Kenntnisse über die Verhältnisse von dessen Mandanten, wenn der Prüfer den Geprüften nicht vorab über seine Absicht, Kontrollmaterial an die für die Besteuerung der betroffenen Mandanten zuständigen Finanzämter zu übersenden, in Kenntnis gesetzt hat.
2. Das auswertende Finanzamt ist darlegungs- und feststellungsbelastet hinsichtlich der Frage, ob der Prüfer seine Absicht, Kontrollmitteilungen zu fertigen, dem Geprüften im Voraus angekündigt hat. Verbleibende Zweifel gehen zu seinen Lasten.
Normenkette
AO § 104 Abs. 1, § 194 Abs. 3; GG Art. 19 Abs. 4
Tenor
Die Umsatzsteuer 2015 wird unter Änderung des Umsatzsteuerbescheides 2015 vom 29.01.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.10.2021 auf 0,00 EUR festgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren war notwendig.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob der Beklagte ihm vorliegendes Kontrollmaterial zu Recht zum Anlass genommen hat, entsprechende Umsatzsteuer gegenüber der Klägerin festzusetzen.
Die Klägerin beauftragte im Streitjahr Rechtsanwälte, die Mitglieder ihrer Prozessbevollmächtigten, mit der Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen gegenüber einer B… GmbH mit Sitz in C…. Mit Anwaltsschriftsatz vom 21.04.2015 forderte die Klägerin die B… GmbH auf, eine rückständige Zahlung aus einer Rechnung vom 08.01.2015 (Nr. 12/2015) in Höhe von 21.704,71 EUR durch Zahlung auf das Fremdgeldkonto der Rechtsanwälte zu begleichen. Die Rechnung liegt in Kopie vor. Danach berechnete die Klägerin der B… GmbH für die Lieferung von Sonderposten von Taschen, Kleinlederwaren und Koffern 18.239,25 EUR zuzüglich 3.465,46 EUR Umsatzsteuer (zusammen 21.704,71 EUR). Mit weiterem Anwaltsschriftsatz vom 01.06.2015 forderte die Klägerin die B… GmbH auf, eine rückständige Zahlung aus einer Rechnung vom 16.04.2015 (Nr. 104/2015) in Höhe von 35.750,00 EUR wiederum durch Zahlung auf das Fremdgeldkonto der Rechtsanwälte zu begleichen. Insoweit liegt die genannte Rechnung nicht vor, lediglich eine Anwaltsrechnung für diesen Vorgang über 146,88 EUR zuzüglich 27,91 EUR Umsatzsteuer. Die angeforderten Zahlungen gingen auf dem Fremdgeldkonto ein und wurden – nach Verrechnung mit offenen Gebührenforderungen – dem Geschäftsführer der Klägerin im Streitjahr in bar ausgezahlt.
Die Klägerin reichte zunächst für die Veranlagungszeiträume ab 2012 weder Umsatzsteuererklärungen, noch Jahresabschlüsse ein.
In den Jahren 2014 und 2015 beantragte der Beklagte zweimal erfolglos beim Amtsgericht D… – Handelsregister – die Löschung der Klägerin als vermögenslos. Dabei legte die Klägerin eine Versicherungspolice vor, nach der ihr früherer, im Jahre 2011 abberufener Geschäftsführer für die Versicherungsleistungen bezugsberechtigt war.
Ab dem 06.08.2019 führte das Finanzamt E… im Büro der Rechtsanwälte der Klägerin eine Betriebsprüfung durch, die jedenfalls auch das Streitjahr umfasste (vermutlich wegen einer Vorgängergesellschaft der gegenwärtigen, am 22.03.2019 im Partnerschaftsregister eingetragenen Prozessbevollmächtigten). Die Prüferin, die Zeugin F…, notierte dazu u.a.: Anwesend: „Frau G… (Buchhaltung) Herr H… (etwas später) … Belegsichtung, Ablage mit Fr. G… (viel gescannt aktuell)” Am 06.09.2019 schrieb die Prüferin eine Email an die Zeugin G… mit dem Betreff „Betriebsprüfung 232/112/04532” und dem Text „Hallo Frau G…! Vielen Dank das ist ausrechend. Nachfolgend noch weitere Informationen über die Meldungen zu grenzüberschreitendem Zahlungsverkehr.” Es folgt ein Link zur Website der Bundesbank. Handschriftlich ist vermerkt: „besprochen am 22.8. in Kanzlei mit Fr. G… u. I…” Worauf sich die Email bezieht, ist den vorliegenden Unterlagen nicht zu entnehmen. Im Übrigen hat das FA E… aus der Betriebsprüfungsakte nur zwei Kontrollmitteilungen, die oben genannten Unterlagen über den Schriftverkehr mit der B… GmbH und die damit zusammenhängenden Bankkontoauszüge übersandt (vgl. Bl. 81 bis 90 Gerichtsakte).
Am 22.08.2019 gingen dem Beklagten zwei Kontrollmitteilungen der Zeugin F… zu, denen die oben genannten Unterlagen über den Schriftverkehr mit der B… GmbH beigefügt waren.
Dies nahm der Beklagte zum Anlass, mit Bescheid vom 29.01.2021 ausgehend von geschätzten Besteuerungsgrundlagen eine Umsatzsteuer 2015 in Höhe von 9.173,39 EUR festzusetzen, wobei der Beklagte von steuerpflichtige...