Entscheidungsstichwort (Thema)

Widerruf der Dauerfristverlängerung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als anfechtbare Rechtshandlung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Der Widerruf der Dauerfristverlängerung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist eine Rechtshandlung im insolvenzrechtlichen Sinne.

2. Widerruft das Finanzamt nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Dauerfristverlängerung, so steht § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO einer Aufrechnung des mit dem Widerruf entstandenen Anspruchs auf Erstattung der geleisteten Sondervorauszahlung gegen vor Insolvenzeröffnung entstandene Steuerrückstände des Gemeinschuldners entgegen.

 

Normenkette

AO § 226 Abs. 1; BGB § 387; InsO § 96 Abs. 1 Nr. 3, § 129 Abs. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 1; UStG 1999 § 18

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 16.12.2008; Aktenzeichen VII R 17/08)

 

Tenor

Der Abrechnungsbescheid vom 07.10.2004 wird unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 28.4.2005 dahingehend geändert, dass sich ein Guthaben in Höhe von 3.530,00 EUR ergibt.

Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

 

Tatbestand

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der X-GmbH (im Folgenden: Gemeinschuldnerin). Im Februar 2004 beantragte die Gemeinschuldnerin für den laufenden Veranlagungszeitraum eine Dauerfristverlängerung und meldete eine Sondervorauszahlung in Höhe von 3.530,00 EUR an. Hiervon tilgte sie am 16.2.2004 2.731,91 EUR.

Am 24.2.2004 stellte die Gemeinschuldnerin beim Amtsgericht L einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Am 25.3.2004 widerrief der Beklagte die gewährte Dauerfristverlängerung. Am 13.4.2004 und am 19.4.2004 zahlte die Gemeinschuldnerin den noch offenen Differenzbetrag der angemeldeten Sondervorauszahlung. Die für die Monate Januar und April 2004 angemeldeten Umsatzsteuer-Vorauszahlungen zahlte die Gemeinschuldnerin nicht.

Mit Beschluss vom 20.4.2004 eröffnete das Amtsgericht L das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter.

Mit der „Steuerberechnung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat März 2004” vom 15.6.2004 errechnete der Beklagte ein Umsatzsteuerguthaben in Höhe von 3.530,00 EUR, welches aus der abgeführten Sondervorauszahlung resultierte. Dieses Guthaben rechnete der Beklagte mit der Umbuchungsmitteilung vom 25.6.2004 mit einer gegenüber der Gemeinschuldnerin bestehenden Umsatzsteuerforderung aus dem Monat Januar 2004 vollständig auf. Der gegen den am 7.10.2004 erlassenen Abrechnungsbescheid eingelegte Einspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.

Mit der Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass die von dem Beklagten vorgenommene Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 3 Insolvenzordnung – InsO – unzulässig sei, weil der Beklagte als Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt habe. Das Umsatzsteuerguthaben resultiere aus dem am 25.3.2004 erfolgten Widerruf der Dauerfristverlängerung und sei somit mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums zum 31.3.2004 entstanden. Begründet worden sei dieses Guthaben mit der Zahlung der Sondervorauszahlung im Februar und April 2004. Damit seien die Tilgungen alle innerhalb des letzten Monats vor der Stellung des Insolvenzantrags bzw. nach Stellung des Insolvenzantrags vorgenommen worden. Der Tatbestand des § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO sei folglich erfüllt.

Der Kläger beantragt,

den Abrechnungsbescheid vom 7.10.2004 unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 28.4.2005 dahingehend zu ändern, dass sich ein Guthaben in Höhe von 3.530,00 EUR ergibt.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass der Kläger schon deshalb keinen Anspruch auf Erstattung der gegenüber der Gemeinschuldnerin festgesetzten Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung habe, weil die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen 2004 nicht vollständig beglichen worden seien. Dies sei Voraussetzung für die Rückzahlung der Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung.

Dem Gericht hat bei der Entscheidung neben der Verfahrensakte eine Heftung „Vorgang zum Abrechnungsbescheid” vorgelegen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Der angefochtene Abrechnungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung – FGO –), weil das Guthaben nicht durch die Aufrechnung des Beklagten erloschen ist.

Gemäß § 226 Abs. 1 AO gelten für die Aufrechnung mit Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für die Aufrechnung gegen diese Ansprüche die Vorschriften des bürgerlichen Rechts sinngemäß, soweit nichts anderes bestimmt ist. Die Aufrechnung bestimmt sich mithin nach §§ 387 ff. Bürgerliches Gesetzbuch – BGB – sowie für den Fall des Insolvenzverfahrens nach den §§ 94 bis 96 InsO.

Nach § 387 B...

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