Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch bei einjährigem Work & Travel-Jahr und anschließendem Studium des volljährigen Kindes in Australien
Leitsatz (redaktionell)
1. Ist das volljährige Kind im Juni 2019 für ein Work & Travel – Jahr nach Australien gereist, hat es sich im Laufe dieses Jahres entschlossen, im Zeitraum von Juli 2020 bis März 2022, also für rund 1,5 Jahre in Perth/Australien ein Studium zu absolvieren und ist es im gesamten Zeitraum von Juni 2019 bis März 2022 aufgrund der nur kurzen Dauer der ausbildungsfreien Zeiten, der coronabedingten Reiserestriktionen sowie fehlender Geldmittel nicht nach Deutschland zurückgekehrt, so spricht das für eine Aufgabe des Wohnsitzes in der inländischen Wohnung der Mutter spätestens ab Studienbeginn, sodass nach § 63 Abs. 1 Satz 6 EStG kein Kindergeldanspruch besteht.
2. Das Innehaben einer Wohnung als Voraussetzung für einen Wohnsitz im steuerrechtlichen Sinne ist objektiviert; insoweit sind die tatsächlichen Verhältnisse ohne Rücksicht auf persönliche oder finanzielle Beweggründe und Absichten entscheidend. Formalrechtliche Merkmale wie die polizeiliche Meldung im Inland oder die Erteilung einer Identifikationsnummer nach § 139b AO durch das Bundeszentralamt für Steuern oder die steuerrechtliche Behandlung der Mutter können daher keinen inländischen Wohnsitz des Kindes begründen.
Normenkette
EStG § 1 Abs. 1, § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1, 6; AO § 9 Sätze 1-2
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid, mit dem die Beklagte ihren Antrag auf Festsetzung von Kindergeld für ihre Tochter D., geboren … 1997, ab Juli 2020 ablehnte.
Die Klägerin wohnt mit ihrem Ehemann unter der Anschrift … in ….
Im Juni 2020 beantragte die Klägerin für ihre Tochter D. Kindergeld für die Zeit ab Juli 2020. Sie gab in ihrem Kindergeldantrag vom 4. Juni 2020 an, dass D. seit Juni 2019 vorübergehend in Perth/Australien im Rahmen eines Work & Travel – Aufenthalts wohne und im Zeitraum vom 1. Juli 2020 bis zum 20. März 2022 in Perth/Australien ein Studium im Diplom-Studiengang „Nursing” mit dem Abschluss „Diploma of Nursing” absolvieren wolle. Ausweislich der vorgelegten Bescheinigung „Overseas Student Confirmation-of-Enrolment (CoE)” beläuft sich die gesamte Studiengebühr „total tuition fee”) auf AU$ 26,790 (entspricht rund 16.880,– EUR).
Mit Bescheid vom 17. Juni 2020 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 4. Juni 2020 auf Festsetzung von Kindergeld für das Kind D. ab dem Monat Juli 2020 ab. Zur Begründung gab sie an, dass das Kind weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland habe und somit kindergeldrechtlich nicht berücksichtigt werden könne.
Gegen den Ablehnungsbescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom 19. Juni 2020, das am 24. Juni 2020 bei der Beklagten einging, „Widerspruch” ein. Zur Begründung führte sie Folgendes aus:
Ihre Tochter sei nach wie vor bei ihr mit ihrem Erstwohnsitz gemeldet, da sie sich bisher immer nur vorübergehend im Ausland aufgehalten habe. Das ab 1. Juli 2020 geplante Studium werde sie zwar zwingen, hauptsächlich im Ausland zu sein. Jedoch sei geplant, dass sie sich mindestens zweimal im Jahr für einige Wochen hier in Deutschland aufhalte und dann auch am … in …wohne. Das australische Studium werde in Deutschland anerkannt und sie, die Klägerin, hoffe sehr, dass ihre Tochter nach ihrer Ausbildung zurückkehre, hier arbeite oder ein weiterführendes Studium anstrebe.
Die Beklagte behandelte das Schreiben der Klägerin vom 19. Juni 2020 als Einspruch.
Mit Einspruchsentscheidung vom 29. Juni 2020 wies die Beklagte den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück:
Für einen steuerrechtlichen Kindergeldanspruch würden Kinder gemäß § 63 Abs. 1 Satz 6 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nicht berücksichtigt, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland, in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union (EU), in einem Staat, auf den das Abkommen über den europäischen Wirtschaftsraum (EWR) Anwendung finde, oder in der Schweiz hätten, es sei denn, sie lebten im Haushalt eines Berechtigten im Sinne des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG. Da die Klägerin die Tatbestandsmerkmale des § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG (unbeschränkt einkommensteuerpflichtige deutsche Staatsangehörige, die für den deutschen öffentlichen Dienst im Ausland arbeiteten und dort nur beschränkt steuerpflichtig seien) nicht erfülle, komme es für den geltend gemachten Kindergeldanspruch allein auf den Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes in den genannten Gebieten an.
Einen Wohnsitz habe jemand nach § 8 Abgabenordnung (AO) dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehabe, die darauf schließen ließen, dass er diese beibehalten und benutzen werde. Mit Wohnung seien objektiv zum Wohnen geeignete Räume gemeint. Der Steuerpflichtige müsse die Wohnung innehaben, d. h. er müsse tatsächlich...