rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Versäumte Antragsfrist für die Anwendung des geänderten Erbschaftsteuerrechts. materiell-rechtliche Ausschlussfrist. sachliche Unbilligkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts (ErbStRG) vom 24. Dezember 2008 (BGBl. I 2008, 3018) konnte nach Art. 3 Abs. 1 ErbStRG die Anwendung des geänderten Erbschaftsteuerrechts für Erwerbe von Todes wegen beantragt werden, für die die Steuer nach dem 31. Dezember 2006 und vor dem 1. Januar 2009 entstanden ist. Mit dem Außerkrafttreten des Art. 3 ErbStRG am 1. Juli 2009 entfiel dieses Antragsrecht.

2. Sofern das Gesetz für bestimmte Handlungen Ausschlussfristen vorsieht, kann grundsätzlich auch aus Billigkeitsgründen nach Fristablauf eine versäumte Handlung nicht nachgeholt werden. Bei der Optionsfrist des Art. 3 ErbStRG handelt es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist.

3. Dass ein über ein Jahr nach dem Außerkrafttreten des Art. 3 Abs. 1 ErbStRG gestellter Antrag auf Berücksichtigung des geänderten Erbschaftsteuerrechts bei der Steuerfestsetzung nicht mehr berücksichtigt werden kann, führt nicht zu einer sachlichen Unbilligkeit der Steuerfestsetzung.

 

Normenkette

ErbStRG Art. 3 Abs. 1-2, Art. 6 Abs. 3; AO §§ 163, 5

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Am 1. August 2008 verstarb Herr S. in einem Pflegeheim in Bremen. In seinem Testament hatte er den Kläger als Alleinerben eingesetzt und die Schweizer Rechtsanwältin P zur „Willensvollstreckerin” bestimmt. Der Erblasser war zuletzt in der Schweiz mit Hauptwohnsitz gemeldet und war auch in … gemeldet.

Am 18. Februar 2009 erteilte die deutsche Botschaft in … Frau P das Testamentsvollstreckerzeugnis. Am 30. April 2009 ging die Anzeige des Erbfalls durch das Nachlassgericht … beim Finanzamt A ein. Das Finanzamt A forderte Frau P am 15. Juni 2009 zur Benennung eines inländischen Bevollmächtigten auf. Am 17. Juli 2009 ging die durch Frau P erteilte Vollmacht für den bisherigen Steuerberater des Erblassers, Herrn …, beim Finanzamt A ein. Am 28. Juli 2009 forderte das Finanzamt A den Steuerberater … zur Abgabe der Erbschaftsteuererklärung bis zum 31. August 2009 auf. Am 1. September 2009 wurde eine Fristverlängerung für die Abgabe der Steuererklärung bis zum 30. November 2009 beantragt.

Am 2. Juli 2010 ging die von der Steuerberatungsgesellschaft K erstellte Erbschaftsteuererklärung ein Zugleich wurde ein Antrag auf Anwendung des geänderten Erbschaftsteuerrechts nach Art. 3 ErbStRG gestellt.

Mit Bescheid vom 4. Januar 2011 wurde durch das Finanzamt A die Erbschaftsteuer nach dem für das Jahr 2008 geltenden Recht festgesetzt. In den Erläuterungen wird ausgeführt, dass der Antrag nach Art. 3 ErbStRG nicht berücksichtigt worden sei, da die Wahlmöglichkeit einer rückwirkenden Anwendung des geänderten Erbschaftsteuer- und Bewertungsgesetzes 2009 bis zum 30. Juni 2009 befristet gewesen sei.

Nachdem die steuerlichen Berater des Klägers am 13. Januar 2011 telefonisch mitgeteilt hatten, dass ein Antrag auf Besteuerung nach neuem Recht gestellt worden sei, wurde am 18. Januar 2011 die Änderung des Bescheides abgelehnt. Ein Antrag auf rückwirkende Anwendung des ab 1. Januar 2009 geltenden Erbschaftsteuergesetzes habe bis zur Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung, allerdings längstens bis zum 30. Juni 2009 gestellt werden können. Nach Art. 6 ErbStRG sei Art. 3 ErbStG ab 1. Juli 2009 außer Kraft gesetzt worden. Aus dem Eintritt der Unanfechtbarkeit nach dem 30. Juni 2009 ergebe sich kein nachträgliches Wahlrecht. Der Antrag sei erst mit der Erbschaftsteuererklärung am 2. Juli 2010 beim Finanzamt eingegangen.

Gegen den Erbschaftsteuerbescheid wurde am 3. Februar 2011 Einspruch eingelegt, der mit Einspruchsentscheidung vom 29. Januar 2016 abgelehnt wurde. Die dagegen erhobene Klage ist unter dem Aktenzeichen 3 K 31/17 (1) beim Finanzgericht anhängig. Das Verfahren ruht bis zum Abschluss dieses Verfahrens.

Ebenfalls am 3. Februar 2011 stellte der Kläger einen Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO. Sachliche Billigkeitsmaßnahmen seien insbesondere dann angebracht, wenn es beim Vollzug eines im Allgemeinen verfassungsgemäßen Gesetzes in Einzelfällen zu verfassungsrechtlich bedenklichen Problemlagen kommen könne. Der Gesetzgeber habe einem Steuerpflichtigen, der erst nach Ablauf der Frist nach Art. 6 Abs. 3 ErbStRG von einem Erbfall erfahren habe oder zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung aufgefordert worden sei, nicht die Möglichkeit nehmen wollen, sein Wahlrecht zur Anwendung des neuen Erbschaftsteuerrechts auszuüben. Es sei anzunehmen, dass es sich bei Art. 6 Abs. 3 ErbStRG um ein gesetzgeberisches Versehen handele. Der Gesetzgeber habe mit Art. 3 ErbStRG allen Steuerpflichtigen mit einem erbschaftsteuerpflichtigen Erwerb in den Jahren 2007 und 2008 eine angemessene Überlegungsfrist für die Prüfung, ob ei...

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