Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung der bestandskräftig gewordenen Einkommensteuerbescheide eines Kapitäns nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO bei Geltendmachung von Verpflegungsmehraufwand sowie Reisekosten und nachträglichem Bekanntwerden kostenloser Mahlzeiten an Bord sowie der Erstattung der Fahrtkosten durch den Arbeitgeber
Leitsatz (redaktionell)
1. Hat ein Schiffskapitän an Bord von seinem Arbeitgeber nach § 8 Abs. 2 Satz 9 EStG 2014 steuerfreie kostenlose Mahlzeiten erhalten, wurden ihm auch die Fahrtkosten von und zu Häfen erstattet und hat er gleichwohl in den Einkommensteuererklärungen ab 2014 Verpflegungsmehraufwendungen sowie Fahrtkosten als Reisekosten geltend gemacht und keine Eintragungen in der Zeile 55 für „Kürzungsbeträge wegen Mahlzeitengestellung (eigene Zuzahlungen sind ggf. gegenzurechnen)” in das Feld 473 sowie in Zeile 51 „Vom Arbeitgeber steuerfrei ersetzt”) in Feld 420 der Steuererklärungsformulare vorgenommen, so können die bestandskräftig gewordenen Bescheide später nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden, wenn der Veranlagungssachbearbeiter bei Erlass der Steuerbescheide aufgrund des vom Arbeitgeber unterlassenen Eintrags des Großbuchstaben „M” in den Lohnsteuerbescheinigungen keinen Anlass zu weiteren Ermittlungen hatte und ihm die kostenlose Mahlzeitengestellung sowie die Erstattung der Fahrtkosten erst nachträglich bekannt geworden sind. Bei der kostenlosen Gestellung von Mahlzeiten an die Besatzung von Schiffen handelt es sich nicht um eine allgemein bekannte Tatsache, die das Finanzamt zu Ermittlungen veranlassen müsste.
2. Wenn ein Arbeitgeber dem Arbeitnehmer während seiner beruflichen Tätigkeit außerhalb seiner Wohnung und seiner ersten Tätigkeitsstätte eine mit dem amtlichen Sachbezugswert zu bewertende Mahlzeit zur Verfügung stellt, muss dies mit dem Großbuchstaben „M” in der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung bescheinigt werden (vgl. BMF, Schreiben v. 24.10.2014, IV C 5-S 2353/14/10002).
3. Eine auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützte Änderung eines Steuerbescheids kann nach Treu und Glauben ausgeschlossen sein, wenn der Steuerpflichtige seine steuerlichen Mitwirkungspflichten erfüllt und das Finanzamt seine Ermittlungspflicht verletzt hat.
4. Die in § 89 Abs. 1 AO normierte Betreuungspflicht greift nur dann, wenn es sich dem Finanzamt auf Grund der vorliegenden Umstände aufdrängt „offensichtlich”), dass der Steuerpflichtige nur versehentlich einen Fehler gemacht hat.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 1, § 89 Abs. 1; EStG 2014 § 8 Abs. 2 Sätze 8-9, § 9 Abs. 4a S. 8; BGB § 242
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Änderung von Einkommensteuerbescheiden nach § 173 Abs.1 Nr. 1 AO.
Der Kläger ist verheiratet und wird mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger erzielte in den Streitjahren Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Er war in den Streitjahren bei der … (Arbeitgeber) als Kapitän beschäftigt.
Während seiner Einsätze auf Schiffen erhielt er kostenlose Verpflegung. Er erhielt ferner ein Verpflegungsgeld für Urlaub, Krankheit und arbeitsfreie Tage. Dieses betrug in 2014 14,50 EUR täglich.
Der Arbeitgeber nahm bis einschließlich Juli 2014 eine Versteuerung des Sachbezugs Verpflegung mit 228 EUR monatlich vor. Zugleich wurde die Zahlung des Verpflegungsgeldes als steuerfrei behandelt.
Die Arbeitnehmer wurden durch Übersendung eines Merkblatts vom 1. September 2014 darüber informiert, dass das für sie zuständige Betriebsstättenfinanzamt die Umsetzung der Neuerungen des ab 1. Januar 2014 in Kraft getretenen neuen Reiskostenrechts bestätigt habe. In dem mit „Wichtige Information” überschriebenen Merkblatt heißt es:
„…
- Die bisher mit einem Sachbezugswert (aktuell 228,– EUR pro Monat) versteuerten kostenlosen Mahlzeiten an Bord sind steuerfrei. Damit entfällt grundsätzlich der Werbungskostenabzug für Verpflegungsmehraufwendungen.
- Das Ihnen während des Urlaubs, während der Krankheit usw. gem. Tarifvertrag zu zahlende Verpflegungsgeld wurde bisher mit dem Sachbezugswert voll versteuert. Das Verpflegungsgeld nach HTV-See unterliegt den individuell voll zu versteuernden Einkünften des Mitarbeiters.
Diese Neuerungen werden wir erstmalig für die Heuerabrechnung für den Monat August 2014 umsetzen.”
Die Lohnsteuerbescheinigungen für den Kläger für die Streitjahre enthielten keinen Eintrag des Großbuchstaben „M”.
In den Steuererklärungen für die Streitjahre 2014, 2015 und 2016 machte der Kläger zur Abgeltung von Mehraufwendungen für Verpflegung Verpflegungspauschalen als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Diese ermittelten er anhand seiner Reisedaten und der länderweise festgesetzten Pauschbeträge und erstellten gesonderte Aufstellungen. Insoweit wurden für 2014 6.191 EUR, für 2015 7.203 EUR und für 2016 1.502 EUR ermittelt und in den Anlagen N in Zeile 56 in das Feld 474 eingetragen.
In den Anlagen N zu den Einkommensteuererklärungen ...