Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Aussetzung der Vollziehung trotz ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Wertpapierspekulationsgewinnbesteuerung. Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (§ 69 FGO). Einkommensteuer 2000
Leitsatz (amtlich)
Obwohl wegen schwerwiegender Kontrolldefizite ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung der Spekulationsgewinne aus Wertpapiergeschäften – auch nach der Änderung des § 23 Abs. 1 EStG durch das StEntlG 1999/2000/2002 – bestehen, kann die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides wegen dem gegenüber dem Individualinteresse überwiegenden öffentlichen Interesse an einer geordneten Haushaltsführung nicht ausgesetzt werden.
Normenkette
EStG § 23 Abs. 1 Nr. 2, § 22 Nr. 2; GG Art. 3 Abs. 1; StEntlG 1999/2000/2002; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1
Nachgehend
Tenor
Der Antrag wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden den Antragstellern auferlegt.
Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Tatbestand
In ihrer am 30.04.2002 eingereichten Einkommensteuererklärung für 2000 erklärten die Antragsteller auch Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von insgesamt 40.660,00 DM, die aus der Veräußerung von Anteilen an verschiedenen Investmentfonds resultierten. Der Antragsgegner erließ am 05.09.2002 den Einkommensteuerbescheid für 2000 – unter Ansatz des vorstehend genanten Betrages bei den sonstigen Einkünften – und setzte die Einkommensteuer auf 53.269,97 EUR fest. Die Antragsteller erhoben am 17.09.2002 Einspruch gegen den Steuerbescheid. Zur Begründung verwiesen sie auf die mögliche Verfassungswidrigkeit der Vorschriften der §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG) und zweifelten die Rechtmäßigkeit der Erfassung der erklärten Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften an. Gleichzeitig beantragten sie die Aussetzung der Vollziehung der auf die sonstigen Einkünfte entfallenden Steuerbeträge. Der Antragsgegner lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit Bescheid vom 07.10.2002 ab. Am 14.10.2002 teilte der Antragsgegner den Antragstellern mit, dass das Einspruchsverfahren gem. § 363 Abs. 2 S. 2 Abgabenordnung (AO) aufgrund des beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängigen Verfahrens IX R 62/99 ruhe.
Zur Antragsbegründung führen die Antragsteller an, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides bestünden, die bei einer Interessenabwägung nicht hinter das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltslage des Staates zurücktreten müssten. Aufgrund der Erwägungen des BFH in dem Vorlagebeschluss vom 16.07.2002 – IX R 62/99 (V) – im Verfahren der konkreten Normenkontrolle, sei wegen struktureller Mängel beim Vollzug der Vorschriften der §§ 22 Nr. 2, 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG zweifelhaft, ob die Besteuerung wahrheitsgemäß erklärter privater Veräußerungsgeschäfte mit Wertpapieren mit Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) vereinbar sei. Das öffentliche Interesse dürfe den individuellen Rechtsschutz der Antragsteller, der sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebe, nicht einschränken. Die Aussetzung der Vollziehung sei insbesondere geboten, um die Vereinnahmung verfassungswidriger Steuern zu verhindern.
Die Antragsteller beantragen,
die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2000 und die Zinsfestsetzung vom 05.09.2002 bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung hinsichtlich folgender Beträge auszusetzen:
Einkommensteuer |
10.579,65 EUR |
Zinsen zur Einkommensteuer |
240,00 EUR |
Solidaritätszuschlag |
581,86 EUR |
Kirchensteuer ev. |
624,43 EUR, |
hilfsweise, die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zuzulassen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Er ist der Ansicht, auch bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der streitentscheidenden Normen überwiege das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung das Rechtsschutzinteresse der Antragsteller. Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) und des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) schränke den Rechtsschutz durch die Aussetzung der Vollziehung ein, wenn schwerwiegende öffentliche Interessen, wie das Interesse an einer geordneten Haushaltsführung, das Aussetzungsinteresse überwiegen. Aufgrund der bisherigen Rechtssprechungspraxis des Bundesverfassungsgerichtes, z.B. zum Grundfreibetrag und zu den Kinderbetreuungskosten, sei zu erwarten, dass die Besteuerung der privaten Veräußerungsgeschäfte nicht rückwirkend für nichtig erklärt werde, sondern dem Gesetzgeber lediglich für die Zukunft Neuregelungen oder Nachbesserungen auferlegt würden.
Entscheidungsgründe
Der Antrag ist unbegründet.
Es bestehen zwar ernstliche Zweifel i.S.v. § 69 Abs. 2 S. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheides für 2000 soweit dieser auf dem streitigen Steuerbetrag beruht. Die Zweifel bestehen in rechtlicher Hinsicht und ergeben sich aus den Erwägungen des BFH in seinem Vorlagebeschluss vom 16.07.2002 – IX R 62/99 (V) (juris) zu § 23 Abs. 1 Nr. 1 Buchst....