Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch des Sozialleistungsträgers auf Erstattung des Kindergeldes von der Familienkasse bei Unterbringung des Kindes in einer Jugendeinrichtung. Abzweigung des Kindergeldes aufgrund fehlender Unterhaltsleistungen des Kindergeldberechtigten
Leitsatz (redaktionell)
1. Trägt der Jugendhilfeträger die Kosten der Heimunterbringung des Kindes, so kann er einen Kindergeld-Erstattungsanspruch gegen die Familienkasse nur dann auf § 74 Abs.2 EStG i.V.m. § 104 Abs. 1 S. 4 SGB X stützen, wenn er gegenüber dem Kindergeldberechtigten oder dem Kind selbst einen Aufwendungsersatz tatsächlich geltend gemacht bzw. einen Kostenfestsetzungsbescheid tatsächlich erlassen hat und sich dabei ausdrücklich auf das Kindergeld als Anspruch dem Grunde und der Höhe nach bezogen hat.
2. Das Kindergeld ist aber von der Familienkasse aufgrund einer Ermessensreduktion auf Null nach § 74 Abs. 1 S. 1, 3, 4 EStG in voller Höhe an den Jugendhilfeträger abzuzweigen und auszuzahlen, wenn der Kindergeldberechtigte keinen Unterhalt geleistet hat (hier: keine Anerkennung der Aufwendungen des Kindergeldberechtigten für den gelegentlichen Erwerb von Bekleidung, von Handykarten für das Kind sowie von weiteren nicht nachgewiesenen Aufwendungen als „Unterhaltsleistung”).
Normenkette
EStG 2002 § 74 Abs. 2, 1 Sätze 1, 3-4; SGB X § 104 Abs. 1 S. 4; FGO § 102
Tenor
Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 28. April 2003 wird der Bescheid vom 21. Februar 2003 dahingehend geändert, dass Kindergeld für das Kind A… ab Juni 2002 in voller Höhe an die Klägerin abgezweigt wird.
Die Kosten des Verfahrens werden der Beklagten auferlegt. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen werden nicht erstattet.
Die Revision zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin gewährte dem im Mai 1993 geborenen Kind A… als Jugendhilfeträger in der Zeit ab April 2002 Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung. Die Unterbringung erfolgte im Kinder- und Jugendhaus in L…. Der monatlich vom Jugendamt zu zahlende Kostensatz betrug ca. EUR 2.800. Vor Beginn der Hilfemaßnahme lebte das Kind bei seiner Großmutter. Dort hielt sich das Kind alle 2 Wochen zum Wochenende auf. Nur in den Weihnachtsferien des Jahres 2002 hielt sich das Kind A… im Haushalt des Vaters, des Beigeladenen, auf.
Die Klägerin stellte im April 2002, bei der Beklagten am 2. Mai 2002 eingegangen, einen Antrag auf Erstattung des Kindergeldes gemäß § 74 Abs. 3 (jetzt Abs. 2) Einkommensteuergesetz – EStG –, § 104 Zehntes Sozialgesetzbuch – SGB X –. Der Beigeladene wurde aufgrund seiner Einkommensverhältnisse nicht zu den Kosten herangezogen.
Die Beklagte legte den Antrag der Klägerin auch als Abzweigungsbegehren aus und gab dem Beigeladenen im Dezember 2002 Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Beigeladene teilte ohne weitere Nachweise mit, dass er regelmäßige monatliche Zahlungen in Höhe von EUR 60 leiste, auf die weiteren Ausführungen des Beigeladenen wird Bezug genommen. Darüber hinaus teilte der Beigeladene mit, dass er einen monatlichen Betrag in Höhe von EUR 20 bei der Großmutter des Kindes hinterlege, die Kleidung des Kindes finanziere sowie Heimfahrten von L… nach M… und ein Handy – monatlich EUR 15 für eine Telefonkarte. Die Kindergeldzahlungen für die Monate Mai bis November 2002 erfolgten weiter an den Beigeladenen.
Die Beklagte hob aufgrund der Haushaltszugehörigkeit des Kindes A… zum Haushalt der Großmutter die Festsetzung des Kindergeldes gegenüber dem Beigeladenen bis April 2002 auf, verzichtete jedoch auf eine Rückforderung des Kindergeldes, da die Großmutter die Weiterleitung des Kindergeldes an sie bestätigte.
Mit Bescheid vom 21. Februar 2003 setzte die Beklagte Kindergeld für das Kind A… ab Dezember 2002 fest. Das Kindergeld wurde in Höhe von EUR 60 an den Beigeladenen ausgezahlt und in Höhe von EUR 94 an die Klägerin abgezweigt, Bescheid ebenfalls vom 21. Februar 2003. Die Beklagte begründete diese Entscheidung damit, dass der Beigeladene monatlich Unterhaltsleistungen in Höhe von EUR 60 erbringe, die sich aus verschiedenen Positionen zusammensetzten. Der hiergegen erhobene Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg.
Die Klägerin hat Klage erhoben. Sie trägt im Wesentlichen vor, die Entscheidung der Beklagten sei rechtsfehlerhaft. Sie habe zunächst einen Erstattungsanspruch geltend gemacht und erst im Einspruchsverfahren zu den Voraussetzungen einer Abzweigung vorgetragen. Die Beklagte hätte daher zuerst prüfen müssen, ob die Voraussetzungen für eine Erstattung gegeben seien. Nach ihrer Auffassung seien diese Voraussetzungen erfüllt. Sie, die Klägerin, habe einen Kostenfestsetzungsbescheid gegenüber dem Beigeladenen erlassen. Unerheblich sei insoweit, dass dieser über einen Betrag von EUR 0 erfolgt sei. Der Erstattungsanspruch bestehe bereits seit Juni 2002, seit diesem Monat habe die Beklagte das Kindergeld an sie auszahlen können. Die Beklagte habe bereits Anfang Mai 2002 Kenntnis ihres Begehrens gehabt und hätte entsprechend reagieren können. Zumindest hätte ...