Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Anfechtung einer Klagerücknahmeerklärung wegen Irrtums
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird eine Klagerücknahmeerklärung wegen Irrtums angefochten, führt dies nicht zur Unwirksamkeit der Erklärung, da die Vorschriften des BGB über die Anfechtung von Willenserklärungen nicht für die Anfechtung von Prozesshandlungen gelten. Auch ein Widerruf der Rücknahmeerklärung ist grundsätzlich unzulässig.
2. Zur Auslegung einer im elektronischen Rechtsverkehr übermittelten Erklärung über die Rücknahme einer Klage wegen Umsatzsteuer für drei Streitjahre, die das FG zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden hatte, unter Berücksichtigung des Grundsatzes des fairen Verfahrens.
Normenkette
FGO § 72
Nachgehend
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Klage mit Schriftsatz vom 29.07.2004 zurückgenommen worden ist.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Tatbestand
Der Kläger hatte jeweils Klage gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen 1996, 1997 und 1998 erhoben, die durch Beschluss vom 03.03.2004 zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden. Im Erörterungstermin vom 30.03.2004 hat der Beklagte die streitigen Beträge teilweise anerkannt, beide Beteiligten haben zudem auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Am 08.06.2004 hat der Beklagte die Umsatzsteuer 1997 und am 22.07.2004 die Umsatzsteuer 1998 geändert festgesetzt und insoweit den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Der Änderungsbescheid 1998 ist dem Kläger gemäß Verfügung vom 23.07.2004 zur Kenntnisnahme und Gegenäußerung übersandt worden.
Mit Schriftsatz vom 29.07.2004, dem Gericht im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs übermittelt, hat der Kläger unter Angabe des gerichtlichen Aktenzeichens, aber ohne Angabe eines Veranlagungszeitraums erklärt, er nehme die Klage nunmehr zurück. Daraufhin ist das Verfahren (insgesamt) mit Beschluss vom 30.07.2004 eingestellt worden.
Der Kläger macht geltend, er habe eine Klagerücknahme lediglich bezüglich Umsatzsteuer 1998 erklären wollen. Hilfsweise fechte er die Rücknahmeerklärung wegen Irrtums an. Er habe die Klage in der Annahme zurückgenommen, dass das Aktenzeichen 1 K 1574/03 allein für das Verfahren wegen Umsatzsteuer 1998 gelte. Eine Rücknahme der Klage bezüglich Umsatzsteuer 1996 und 1997 sei nicht gewollt gewesen. Zudem sei die Rücknahmeerklärung unwirksam, weil der Beklagte nicht zugestimmt habe, was wegen des Verzichts auf mündliche Verhandlung erforderlich sei.
In der Sache selbst ist bei der Umsatzsteuer 1997 noch ein Vorsteuerabzug von 48,00 DM aufgrund eines Belegs K 29 sowie ein Vorsteuerbetrag von insgesamt 17,20 DM streitig. Hinsichtlich Umsatzsteuer 1996 begehrt der Kläger unter Bezugnahme auf den Beschluss des Gerichts 1 V 1785/03 die Aufhebung der Einspruchsentscheidung.
Der Kläger beantragt,
- die Einspruchsentscheidung vom 14.07.2003 betreffend den Umsatzsteuerbescheid 1996 vom 04.12.2000 aufzuheben
- 2. unter erneuter Änderung des Änderungsbescheides vom 08.06.2004 die Umsatzsteuer 1997 um 65,20 DM niedriger festzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat im Termin zur mündlichen Verhandlung der Klagerücknahmeerklärung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
Das Klagebegehren ist für alle drei Streitjahre erledigt und nicht fortzusetzen. Der Kläger hat durch die Erklärung vom 29.07.2004 die Klage wirksam zurückgenommen.
Soweit der Kläger die Rücknahmeerklärung wegen Irrtums angefochten hat, führt dies nicht zur Unwirksamkeit der Erklärung, da die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Anfechtung von Willenserklärungen nicht für die Anfechtung von Prozeßhandlungen gelten (vgl. BFH Beschluss vom 06.11.1991, II B 48/91, juris).
Auch ein Widerruf der Rücknahmeerklärung – legte man die ausdrücklich als Anfechtung bezeichnete Erklärung des Klägers als solchen aus – ist grundsätzlich unzulässig (vgl. Gräber/Koch § 72 Rz. 19). Dies gilt nur dann nicht, wenn der Steuerpflichtige bei Abgabe der betreffenden Erklärung prozessunfähig war oder in unzulässiger Weise zur Abgabe einer solchen Erklärung veranlaßt worden ist (vgl. Beschluss des BFH vom 07.11.1990, III S 7/90, BFH/NV 1991, 337; Gräber/Koch, Kommentar zur Finanzgerichtsordnung – FGO –, 5. Auflage, § 72 Rz. 21). Auch bei Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes nach den §§ 579, 580 Zivilprozessordnung (Nichtigkeits- und Restitutionsklage) wird ein Widerruf für zulässig angesehen (vgl. Gräber/Koch a.a.O. § 72 Rz. 20 m.w.N.). Da die vorgenannten Ausnahmetatbestände hier aber ersichtlich nicht vorliegen, kann es offen bleiben, ob die Erklärung des Klägers als Widerruf auszulegen ist.
Schließlich ist auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes des fairen Verfahrens die Rücknahme wirksam erfolgt. Entscheidend ist insoweit, dass das Gericht als Empfänger der Prozesserklärung diese nur als Erklärung für alle drei Streitjahre begreifen konnte. Denn dem Kläger war aufgrund des Beschlusses vom 03.03.2004 das Aktenzeichen als das für alle Strei...