Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 11 EStG für eine in einem Privathaushalt bestehende, für die Aufnahme von zwei Kindern/Jugendlichen konzeptionierte Erziehungsfachstelle
Leitsatz (redaktionell)
1. Öffentlich-rechtliche Beihilfen i. S. d. § 3 Nr. 11 EStG sind uneigennützig gewährte Unterstützungsleistungen. Leistungen, die im Rahmen eines entgeltlichen Austauschgeschäfts erbracht werden, können danach nicht als Beihilfe qualifiziert werden (vgl. BFH, Urteil v. 23.9.1998, XI R 9/98, BFH/NV 1999 S. 600).
2. Die von einer Erziehungsfachstelle erbrachte Betreuung von zwei Kindern/Jugendlichen ist im Rahmen eines entgeltlichen Austauschgeschäfts erfolgt und somit nicht nach § 3 Nr. 11 EStG steuerbefreit, wenn u.a.
- die frei verhandelte, nach marktwirtschaftlichen Prinzipien kalkulierte, als „Entgelt” bezeichnete Vergütung für die Betreuung, Erziehung, Verpflegung und Unterbringung von zwei Kindern deutlich über den Ersatz der der Erziehungsfachstelle entstehenden Aufwendungen hinausgeht und der erzielte Gewinn das 1,5-fache des durchschnittlichen Bruttoverdienstes vollzeitbeschäftigter angestellter Erzieher beträgt,
- die Vergütung zu rund 3/4 auf Personalkosten und nur zu 1/4 auf Sachkosten und betriebsnotwendige Aufwendungen entfällt und grundsätzlich auch im Fall der Abwesenheit des Kindes/Jugendlichen lediglich gekürzt um das Verpflegungsgeld weitergezahlt wird,
- nicht die unentgeltliche Übernahme der Betreuungsverpflichtung im Vordergrund steht, sondern das Tätigkeitsein mit Entgelterzielungsabsicht, weil die Zahlungen für die Aufnahme der zu betreuenden Kinder die wesentliche Erwerbs- und Einkommensgrundlage des Steuerpflichtigen und seiner Ehefrau darstellt.
3. Nach der BFH-Rechtsprechung sind die Bezüge für die Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII grundsätzlich nach § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei zu stellen, nicht aber Zahlungen an sonstige betreute Wohnformen i. S. d. § 34 SGB VIII, die als Einrichtungen einen institutionalisierten Rahmen für die Betreuung bieten. Für die Frage der Vornahme einer Besteuerung oder der Gewährung einer Steuerfreiheit kommt es insofern nicht die formale Bezeichnung in Vereinbarungen, Abrechnungen usw. darüber an, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse und somit auf die „materielle” Lage.
4. Auch eine in einem Privathaushalt bestehende Einrichtung, in der weniger als sechs Kinder 365 Tage im Jahr an 24 Stunden betreut werden, kann eine sonstige betreute Wohnform i. S. d. § 34 SGB VIII darstellen, wenn das Kind/der Jugendliche nicht unmittelbar an die betreuende Person vermittelt wird (dann Vollzeitpflege), sondern die Betreuungs- bzw. Erziehungsverantwortung nicht (dauerhaft) einzelnen Personen übertragen wird, sondern mehreren Personen, die auch wechseln können –, und wenn die Betreuung somit „institutionalisiert” ist, mit der Folge, dass von einer Form der Heimerziehung auszugehen ist (im Streitfall: Erziehungsfachstelle, in der die Betreung der aufgenommenen Kinder nicht in der Verantwortung einer bestimmten/konkreten Person liegt, die auch kein Sorgerecht und kein Kindergeld erhält und der die Erziehungsverantwortung nicht dauerhaft übertragen wird).
Normenkette
EStG § 3 Nr. 11; SGB VIII §§ 33, 34a
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Zahlungen des Jugendamtes für die Betreuung von zwei Kindern im Haus der Kläger steuerpflichtig sind oder es sich um steuerfreie Beihilfen i. S. d. § 3 Nr. 11 Einkommensteuergesetz – EStG – handelt.
Die Kläger sind Eheleute, welche im Streitjahr zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden.
Der Kläger ist Diplom-Sozialpädagoge, systemischer Therapeut, Coach und Supervisor sowie Leiter der Erziehungsfachstelle in X.
Auf der Grundlage der §§ 78a ff. des 8. Sozialgesetzbuches (SGB VIII) i.V.m. dem Rahmenvertrag des Landes Y. mit dem Landkreis Z., vertreten durch den Landrat, schloss der Kläger als Leiter der Erziehungsfachstelle eine Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsentwicklungsvereinbarung über die Erbringung von Leistungen nach §§ 8a, 27 SGB VIII i.V.m. §§ 34, 35, 35a, 36 und 72a SGB VIII (LEQ-Vereinbarung) ab. Darin heißt es: „Der Einrichtungsträger verpflichtet sich, entsprechend der eingereichten Leistungsbeschreibung (Aktualisierung 25.08.2015) die Leistungen im angegebenen Umfang in der jeweiligen Qualität zu erbringen.” Unter § 1 der LEQ-Vereinbarung ist eine Regelung über das „Entgelt” getroffen worden. Danach wird dem Einrichtungsträger für Hilfen nach §§ 27 i.V.m. 34, 35, 35a SGB VIII je Platz und Tag ein „Entgelt” gezahlt. Von den EUR entfallen insgesamt EUR auf Personalkosten (d. h. pädagogisches/therapeutisches Personal, Wirtschaftsbereich, Personalnebenkosten), EUR auf Sachkosten (d. h. Lebensmittel, Betriebskosten, Verwaltungskosten, Betreuungskosten) und EUR auf betriebsnotwendige Aufwendungen (Abschreibungen/GWG, Miete/Pacht/Erbbauzinsen/Leasinggebühren, Instandhaltung/-setzung/GWG).
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