Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufhebung eines bestandskräftigen Steuerbescheids der ehemaligen DDR. Zurückweisung eines lange nach Ablauf der Ausschlussfrist nach § 79b Abs. 2 FGO eingegangenen Schriftsatzes

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Ein vor dem Wirksamwerden des Beitritts der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland ergangener Steuerbescheid ist jedenfalls dann i.S. von Art. 19 Satz 2 Einigungsvertrag „mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar” und kann aufgehoben werden, wenn er sich bei einer Würdigung seines Inhalts und der seinen Erlass begleitenden Gesamtumstände nach dem nicht widerlegten äußeren Anschein als mutmaßlich politisch motivierte Willkürmaßnahme darstellt.

2. Werden Anhaltspunkte für eine politisch motivierte Willkürmaßnahme erst über ein Jahr nach Ablauf einer vom Gericht gesetzten Ausschlussfrist vorgetragen, kann dieses verspätete Vorbringen vom Gericht nach § 79b Abs. 3 FGO zurückgewiesen werden, wenn keine Gründe für die Fristversäumnis angegeben werden und die vom Kläger nunmehr gerügten, den Steuerbescheiden der DDR-Behörde zugrunde liegenden Wertermittlungen eine weitere Sachaufklärung durch das Finanzgericht erfordern und damit zu einer Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits führen würden.

 

Normenkette

Einigungsvertrag Art. 19 S. 2; FGO § 79b Abs. 2, § 3 S. 1 Nrn. 1-3

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 14.12.2006; Aktenzeichen II B 23/06)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

 

Tatbestand

Die Klägerin ist Erbin nach ihrem im Jahre 1979 verstorbenen Ehemanns. Dieser war Silberschmied. Die Steuerfahndungsbehörden der xxx waren seinerzeit zu dem Ergebnis gekommen, dass der Erblasser und die Klägerin Vermögensteuer bzw. Erbschaftsteuer hinterzogen hatten. Gegen die Klägerin hatte der Rat der Stadt … daraufhin mit mehreren Bescheiden vom 10. März 1983 Vermögen- und Erbschaftsteuer einschließlich Verzugszuschlägen festgesetzt und, da liquide Mittel zur Begleichung der festgesetzten Steuern nicht ausreichten, das Vermögen der Klägerin größtenteils verwertet.

Im Jahre 2003 stellte die Klägerin einen Antrag auf Aufhebung der erwähnten Vermögensteuer- und des Erbschaftsteuerbescheide. Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 4. Februar 2004 ab. Den dagegen ohne weitere Begründung erhobenen Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsbescheid vom 7. April 2004 zurück.

Die Klägerin hat hiergegen Klage erhoben und angekündigt, die Begründung nachzureichen. Der Klägerin wurde hierfür mit Verfügung vom 10. August 2004 gem. § 79b Finanzgerichtsordnung (FGO) eine Frist bis zum 30. September 2004 gesetzt.

Mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2005 hat die Klägerin vorgetragen, die Wertermittlung des Rates der Stadt … seien offenkundig falsch. Die Besteuerung habe nur dem allseits bekannten Zweck gedient, der xxx Devisen zu verschaffen, indem diese über rechtsstaatswidrige Steuerfestsetzungen an in Privatbesitz befindliche Kulturgüter kam, um diese im Westen zu veräußern.

Die Klägerin beantragt,

den ablehnenden Bescheid des Finanzamts vom 4. Februar 2004 und die Einspruchsbescheide vom 7. April 2004 aufzuheben und das Finanzamt zu verpflichten, den Erbschaftsteuerbescheid vom 10. März 1983, den Vermögensteuerbescheid 1973 bis 1981 vom 10. März 1983 (einschließlich Verzugszuschläge), den Vermögensteuerbescheid 1982 vom 10. März 1983 (einschließlich Verzugszuschläge) sowie den Bescheid über Vermögensteuervorauszahlungen ab den 1. Kalendervierteljahr 1983 vom 10. März 1983 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Gemäß Art. 19 Einigungsvertrag bleiben die vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangenen Verwaltungsakte der … grundsätzlich wirksam. Sie können aber aufgehoben werden, wenn sie mit rechtsstaatlichen Grundsätzen oder mit den Regelungen dieses Vertrages unvereinbar sind. Im Übrigen bleiben die Vorschriften über die Bestandskraft von Verwaltungsakten unberührt.

Der Bundesfinanzhof hat mit Urteil vom 25. Januar 1995 X R 146/93, BStBl II 1995,686 entschieden, dass ein von … Behörden erlassener Steuerbescheid mit rechtsstaatlichen Grundsätzen dann unvereinbar ist, wenn er sich bei einer Würdigung seines Inhalts oder der seinen Erlass begleitenden Gesamtumstände nach dem nicht widerlegten äußeren Anschein als mutmaßlich politisch motivierte Willkürmaßnahme darstellt.

Der Senat hatte – jedenfalls bis zum Eingang des Schriftsatzes vom 2. Dezember 2005 – keine Veranlassung davon auszugehen, dass die Verwaltungsakte, deren Aufhebung die Klägerin begehrt, mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar sind. Es ist nicht erkennbar, dass die Verwaltungsakte, deren Aufhebung die Klägerin begehrt, aufgrund einer politisch motivierten Willkürmaßnahme erlassen wurden.

Die von der Klägerin mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2005 vorgebrachte Begründung war nach § 79 b Abs. 3 Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.

Nach dieser Vorschrift kann das Gericht Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf de...

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