Entscheidungsstichwort (Thema)
Zugangsvermutung (3 Tage nach Aufgabe zur Post) auch bei privatem Briefdienstleister. Unzulässigkeit einer Feststellungsklage bei Versäumung der Frist für Anfechtungs- und Verpflichtungsklage. Ablehnung der Zahlung von Steuern aus Gewissensgründen. Nichtigkeit der AO wegen Verletzung des Zitiergebots
Leitsatz (redaktionell)
1. Die gesetzliche Vermutung des Zugangszeitpunkts eines Verwaltungsakts am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post gem. § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO lässt sich nicht durch den bloßen Hinweis auf die Versendung mit einem privaten Postservice in Zweifel ziehen.
2. Aus der Subsidiarität der Feststellungsklage folgt deren Unzulässigkeit, wenn das Klageziel auch durch Anfechtung der Steuerbescheide oder durch Verpflichtung zur Stundung oder zum Erlass hätte erreicht werden können, aber die Klagefrist abgelaufen ist.
3. Gegenstand einer Feststellungsklage kann zwar auch das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses sein, nicht aber die davon losgelöste Feststellung der Rechtswidrigkeit oder Verfassungswidrigkeit einer Rechtsnorm.
4. Derjenige, der bestimmte staatliche Aktivitäten nicht mit seinen Steuergeldern finanziert wissen will, kann sich aktiv oder passiv politisch engagieren oder aber publizistisch gegen diese Aktivitäten vorgehen, muss aber – bevor er ein Widerstandsrecht nach Art 20 Abs. 4 GG geltend machen kann – alle Möglichkeiten des demokratischen Systems bis hin zu einer möglichen Abwahl der Regierung erschöpfen.
5. Weder die AO noch die Einzelsteuergesetze sind wegen einer Verletzung des sog. Zitiergebotes des Art. 19 Abs. 1 S. 1 und 2 GG unwirksam.
Normenkette
AO § 122 Abs. 2 Nr. 1; FGO § 40 Abs. 2, § 41 Abs. 1, § 47; GG Art. 20 Abs. 4, Art. 19 Abs. 1
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Tatbestand
Nachdem mit Bescheiden vom 17. Februar 2012 zulasten der Klägerin Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide erlassen worden waren, beantragte die damals durch die Steuerberatungsgesellschaft … vertretene Klägerin am 6. März 2012 eine Stundung der daraus resultierenden Steuernachzahlungen 2007 bis 2009. Gegen den ablehnenden Bescheid vom 15. März 2012 legte sie persönlich Einspruch ein und focht zugleich auch noch „alle unter dem Betreff angegebenen Steuerbescheide” an bzw. begehrte die Feststellung von deren Nichtigkeit. Sodann beantragte die nunmehr durch Rechtsanwalt B. vertretene Klägerin mit Schreiben vom 30. Mai 2012 hilfsweise, ihren Stundungsantrag in fristgemäße Einsprüche gegen die Steuerbescheide umzudeuten. Nachdem der Beklagte auf die seines Erachtens eingetretene Bestandskraft der Steuerbescheide und die Eindeutigkeit des Stundungsantrages hingewiesen und erfolglos um Rücknahme des Einspruchs gebeten hatte, wies er den Einspruch gegen die Stundung mit Einspruchsentscheidung vom 7. November 2012 als unzulässig zurück und gab die Entscheidung noch am gleichen Tag mit einfachem Brief zur Post.
Daraufhin hat die weiterhin durch Rechtsanwalt B. vertretene Klägerin am 17. Dezember 2012 unter Beifügung der betreffenden Einspruchsentscheidung „wegen Ablehnung der Stundung für Einkommensteuer und Umsatzsteuer” Klage erhoben, jedoch den Antrag angekündigt,
den Bescheid des Beklagten vom 2. Juli 2012 betreffend die Aussetzung der Vollziehung (Einspruch gegen den Bescheid vom 15. März 2012 über die Ablehnung der Stundung für Einkommensteuer und Umsatzsteuer 2007 bis 2009 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 7. November 2012, zugestellt am 16. November 2012), aufzuheben und die beantragte Stundung zu bewilligen
Nach einem Hinweis der Berichterstatterin, dass eine auf „Aussetzung der Vollziehung” gerichtete Klage wegen § 69 Abs. 7 Finanzgerichtsordnung (FGO) unzulässig sei und dass ferner die im Klageantrag behauptete Zustellung der angefochtenen Stundungsablehnung „am 16. November 2012” glaubhaft zu machen sei, hat die Klägerin ihre Klage ausdrücklich aufrecht erhalten und ihren bisher angekündigten Antrag um die Anträge erweitert,
festzustellen, dass zwischen der Klägerin und dem Land Sachsen-Anhalt bzw. Finanzamt kein Rechtsverhältnis bestehe, nach dem die Klägerin verpflichtet ist, Umsatzsteuer und Einkommensteuer zu zahlen sowie
hilfsweise festzustellen, dass der Klägerin jedenfalls bis auf weiteres ein Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) zustehe, aufgrund dessen sie berechtigt ist, jegliche Steuerzahlung zurückzuhalten, bis in der Bundesrepublik Deutschland verfassungsgemäße Zustände nach dem GG, insbesondere der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hergestellt sind.
Darüber hinaus hat sie die Aussetzung der Vollziehung sämtlicher Umsatz- und Einkommensteuerbescheide 2007 bis 2009 beantragt. Daraufhin hat der Senat die Klage unter dem vorliegenden Aktenzeichen durch Gerichtsbescheid abgewiesen und den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung unter dem Aktenzeichen 6 V 70/13 durch Beschluss vom 8. April 2013 abgelehnt, ohne die Beschwerde zuzulassen. Die zuständige Geschäftsstelle hat dann dem ...