Entscheidungsstichwort (Thema)
Nebenberufliche Tätigkeit i. S. des § 3 Nr. 26 EStG eines Sozialpädagogen. Einkommensteuer 1995 und 1996
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Tätigkeit ist nebenberuflich i. S. von § 3 Nr. 26 EStG, wenn sie nicht mehr als ein Drittel der Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeiterwerbs in Anspruch nimmt. Mehrere gleichartige Tätigkeiten sind zusammenzufassen, wenn sie sich nach der Verkehrsanschauung als Ausübung eines einheitlichen Hauptberufes darstellen. Ist jedoch eine der gleichartigen Tätigkeiten für sich allein betrachtet schon Vollzeiterwerb, so kann jede weitere Tätigkeit – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – i. S. des § 3 Nr. 26 nebenberuflich sein (Anschluss an BFH-Urteil vom 30.3.1990 VI R 188/87, BStBl II 1990, 854).
2. Ein Sozialpädagoge, der im Rahmen eines Dienstverhältnisses im Vollzeiterwerb in einem Übergangswohnheim Suchtkranke betreut, kann mit der außerhalb seiner arbeitsvertraglichen Dienstzeiten freiwillig bei Bedarf gegen stundenweise abgerechnete Vergütung übernommenen Nachbetreuung der Suchtkranken nach ihrem Aufenthalt im Wohnheim in Wohngemeinschaften (sog. Wohnnestern) zur Integration der Betroffenen in das gesellschaftliche Umfeld eine nebenberufliche Tätigkeit i. S. des § 3 Nr. 26 EStG ausüben.
Normenkette
EStG § 3 Nr. 26
Tenor
1. Unter Änderung der Einkommenbescheide vom 26. Januar 1999 über Einkommensteuer 1995 und 1996 und der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidungen vom 27. September 1999 wird die Einkommensteuer 1995 auf 868 DM und die Einkommensteuer 1996 auf 6.951 DM festgesetzt.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
3 Die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren war notwendig.
4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistungen in Höhe des gegen ihn zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin eine nebenberufliche Tätigkeit ausübt, für die die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 26 Einkommensteuergesetz –EStG– zu gewähren ist.
Die Klägerin hat eine sozial-pädagogische Ausbildung absolviert und war in den Streitjahren als Ergo-Therapeutin tätig. Die Arbeitgeberin der Klägerin, die als gemeinnützig anerkannte H. GmbH, betreibt ein Übergangswohnheim zur Betreuung Suchtkranker und Wohngemeinschaften – auch Wohnnester genannt – zur Integration der Betroffenen in das gesellschaftliche Umfeld. Die Suchtkranken werden nach klinischem Aufenthalt, der der Entgiftung dient, für 18 Monate in ein Übergangswohnheim eingewiesen, welches ausschließlich pflegesatzfinanziert ist und von Sozialämtern bzw. Wohlfahrtsvereinen getragen wird. Anschließend können die Suchtkranken auf Antrag für zwei weitere Jahre in einem Wohnnest nachbetreut werden. Die Finanzierung der Wohngemeinschaftsbetreuung erfolgt in Form von Zuwendungen aus Landesmitteln (50 v. H.) und Mitteln örtlicher Träger (Landkreis W. 50 v. H.). Die Klägerin schloss im Jahre 1994 mit der Arbeitgeberin einen Anstellungsvertrag, aufgrund dessen sie als Arbeits- und Beschäftigungstherapeutin im Übergangswohnheim eingesetzt wurde. Zu diesem Zeitpunkt existierten die Wohngemeinschaften noch nicht. Das Konzept und die Umsetzung der Wohngemeinschaften entstand erst, nachdem die ersten Suchtkranken ihre 18-monatige Betreuung im Wohnheim abgeschlossen hatten. Nachdem zunächst die Betreuung in den Wohnnestern unentgeltlich erfolgte, wurde in den Streitjahren für die abgerechneten Stunden eine Vergütung von 0,3 Vollbeschäftigungseinheiten nach BAT-O, Stufe Vb, Altersgruppe 7 gezahlt. Diese Vergütungen erklärte die Klägerin in den Einkommensteuererklärungen der Streitjahre nicht.
Die Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit der Klägerin wurden im Anschluss an eine Lohnsteueraußenprüfung bei der Arbeitgeberin der Klägerin für 1995 um 2.117,– DM und für 1996 um 5.000,– DM erhöht, da die Prüferin davon ausging, dass die für die nebenberufliche Tätigkeit in den Wohnnestern steuerfrei gezahlten Beträge nicht der Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 26 EStG unterlägen.
Die Klägerin betreue sowohl während der Haupttätigkeit als auch während der Nebentätigkeit Suchtkranke. Gemäß Abschnitt 17 Abs. 2 Satz 4 der Lohnsteuerrichtlinien 1996 müssten mehrere gleichartige Tätigkeiten zusammengefasst werden, wenn sie sich nach der Verkehrsanschauung als Ausübung eines einheitlichen Hauptberufes darstellten. Der Beklagte folgte den Ausführungen der Prüferin und setzte mit Bescheiden vom 26. Januar 1999 die Einkommensteuer für 1995 auf 1.365 DM und für 1996 auf 7.674 DM herauf.
Gegen beide Änderungsbescheide legte der Prozessbevollmächtigte am 15. Februar 1999 Einspruch ein. Zwar sei die Ausbildungsvoraussetzung für die sozial-pädagogische Betreuung alkoholkranker Bewohner im Übergangswohnheim identisch mit der für die Wohnnestbetreuung, jedoch erfolge diese Betreuung zusätzlich zu der normalen Arbeitszeit. ...