rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Hausnotrufdienst und Fahrdienst im ärztlichen Notdienst eines Unternehmers. Steuerbefreiung nach Unionsrecht. Kostenübernahme durch Krankenkassen indiziert die Anerkennung als Einrichtung mit sozialem Charakter. Einheitlichkeit der Leistung
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Entscheidung über die Steuerfreiheit der mit dem Hausnotrufdienst und dem Fahrdienst im ärztlichen Notdienst erbrachten Leistungen eines „normalen” Unternehmers, bei dem es sich nicht um einen amtlich anerkannten Verband der freien Wohlfahrtspflege handelt, richtet sich nach dem vorrangig anzuwendenden Unionsrecht.
2. Die insoweit erforderliche Anerkennung des Unternehmers als Einrichtung mit sozialem Charakter kann z. B. aus der zumindest teilweisen Übernahme der Kosten für seine Leistungen durch Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit abgeleitet werden.
3. Im Streitfall stellten aus der Sicht der anrufenden Patienten die vom Kläger erbrachten Leistungen in Gestalt des Hausnotrufdiensts und Fahrdiensts eine einheitliche Leistung dar.
Normenkette
UStG § 4 Nr. 18 S. 1; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g; EGRL 112/2006 Art. 132 Abs. 1 Buchst. g; FGO § 99 Abs. 2
Tenor
Die Umsätze, soweit diese auf den Hausnotrufdienst und auf den Fahrdienst im ärztlichen Notdienst entfallen, sind umsatzsteuerfrei.
Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Umsätze aus dem Kläger betriebenen Hausnotrufdienst und Fahrdienst im ärztlichen Notdienst umsatzsteuerfrei sind.
Der Kläger unterhält einen Hausnotrufdienst und vermittelt Leistungen aus einem vertragsärztlichen Notfalldienst mit dringlichem Hausbesuchsdienst (vormals Notfallambulanz). Soweit der Kläger auch Organe transportiert hat, ist zwischen den Beteiligten nicht mehr streitig, dass diese Leistungen umsatzsteuerpflichtig sind.
Über eine zentrale Telefonnummer des Klägers können die Patienten außerhalb der Sprechzeiten vertragsärztliche Leistungen in Anspruch nehmen. Kann der Patient nicht selbst einen Bereitschaftsarzt aufsuchen, bietet der Kläger einen Fahrdienst an, mit dem der diensthabende Bereitschaftsarzt in einem mit medizinischen Gerätschaften und Blaulicht/Signalhorn ausgestatteten Rettungsfahrzeug zum Patienten gebracht wird. Die Auswahl der Patienten, die einen notfallmäßigen Hausbesuch erhalten, erfolgt je nach Verlauf des Patientenanrufs durch entsprechend geschulte Disponenten.
Die Fahrer der Rettungsfahrzeuge verfügen über eine Ausbildung als Rettungssanitäter/Rettungsassistent bzw. als Rettungs- oder Arzthelfer. Während des Patientenbesuchs unterstützt der Fahrer den Vertragsarzt durch verschiedene Tätigkeiten. Hierzu zählen u.a. die Aufnahme der Patientendaten, Aufzeichnung der ermittelten Blutzucker-, Blutdruck-, sowie Pulswerte. Elektrokardiogramm-Untersuchungen werden ebenfalls durch den Fahrer vorbereitet und durch den Arzt durchgeführt. Der Fahrer bereitet auch erforderliche Infusionen, Injektionen oder Wundversorgungen vor, legt eigenständig Verbände an, kümmert sich um die Patienten und deren anwesende Angehörige, übernimmt die Dokumentation des Hausbesuches und nimmt dem Arzt teilweise das Erstellen von Rezepten und weiteren Formularen ab.
Der Kläger rechnet sämtliche von ihm erbrachten Leistungen unmittelbar gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung ab.
Entgegen der Ansicht des Klägers, der von der Umsatzsteuerfreiheit seiner Leistungen ausging, unterwarf das beklagte Finanzamt (FA) die Umsätze der Regelbesteuerung.
Dagegen richtet sich die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage.
Der Kläger hat beantragt,
dass diejenigen Umsätze, soweit diese auf den Hausnotrufdienst und auf den Fahrdienst im ärztlichen Notdienst entfallen, umsatzsteuerfrei gestellt werden und die Festsetzung der Umsatzsteuer 2006 und 2007 entsprechend abgeändert wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA bezieht sich im Wesentlichen auf die derzeit geltende Weisungslage.
Nachdem die Vorsitzende in der mündlichen Verhandlung u.a. darauf hingewiesen hat, dass der Senat auch eine Entscheidung durch Zwischenurteil in Betracht ziehen wird, haben die Beteiligten dagegen keine Einwände erhoben.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
1. Der Senat konnte durch Zwischenurteil i. S. d. § 99 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) entscheiden. Die Sachdienlichkeit eines Zwischenurteils folgt daraus, dass der Kläger wegen der noch nicht feststehenden Höhe seiner Vorsteuerabzugsbeträge aus dem umsatzsteuerpflichtigen Organtransport seinen Antrag nicht beziffern konnte und demzufolge der Senat die Umsatzsteuer nicht i. S. d. § 100 Abs. 2 FGO beziffert festsetzen konnte. Gleichwohl ist die alleinige materiell-rechtlich streitige Frage der Umsatzsteuerfreiheit der in Rede stehenden Leistungen vorab entscheidungsreif (siehe unter 2.). Die Beteiligten haben zudem auch in der mündlichen Verhandlung der von der Vorsitzenden geäußerten Möglichkeit eines Zwischenurteils nicht widersprochen.
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