Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufiger finanzgerichtlicher Rechtsschutz bei Beantragung der Steuerfreistellung eines Sanierungsgewinns in einem Altfall nach § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG in Verbindung mit § 3a EStG durch Aussetzung der Vollziehung nach § 69 FGO und nicht durch eine einstweilige Anordnung nach § 114 FGO. Antrag auf Freistellung eines Sanierungsertrags nach § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG in einem sogenannten Altfall als rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird in einem Altfall (Schuldenerlass vor dem 9. Februar 2017) ein Antrag nach § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG auf Anwendung des § 3a EStG gestellt und wird diesem Antrag im Einkommensteuerbescheid nicht entsprochen, kann effektiver vorläufiger finanzgerichtlicher Rechtsschutz nur im Wege der Aussetzung der Vollziehung nach § 69 FGO gewährt werden.
2. § 3a EStG ist eine materiell-rechtliche Steuerbefreiungsvorschrift, über deren Anwendung bereits im Steuerfestsetzungsverfahren zu entscheiden ist.
3. Angesichts divergierender finanzgerichtlicher Rechtsprechung ist es ernstlich zweifelhaft, ob ein Antrag auf Freistellung eines Sanierungsertrags nach § 52 Abs. 4a Satz 3 EStG in einem sogenannten Altfall nicht als rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zum erneuten Anlaufen der Festsetzungsfrist nach § 175 Abs. 1 Satz 2 AO führt.
Normenkette
AO §§ 163, 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, S. 2, §§ 222, 227; EStG § 52 Abs. 4a S. 3, Abs. 5 S. 4, § 3a Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 3c Abs. 4 S. 1; GewStG § 7b; FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1, § 114
Tenor
Die Vollziehung des Bescheids über die Ablehnung der Feststellung der Höhe eines Sanierungsertrags für 2009 vom 19. Februar 2021 wird bis einen Monat nach Bekanntgabe einer Entscheidung über den Einspruch mit der Maßgabe ausgesetzt, dass vorläufig von dem erklärten Sanierungsgewinn ausgegangen wird.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller betreibt seit […] als Einzelunternehmer das Hotel „A” in B und erzielt aus dieser Tätigkeit Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Das Unternehmen besteht aus einem Beherbergungsbetrieb mit … Zimmern sowie einem Restaurant.
Mit Vereinbarung vom xx.xx.2008 verzichtete die Bank gegenüber dem Antragsteller u.a. auf eine Darlehensforderung i.H.v. …T EUR und trat die restlichen Forderungen mit Wirkung zum xx.xx.2009 an die Y ab. Der Antragsteller reichte unter dem 23. Februar 2011 die Einkommensteuererklärung für 2009 ein. Mit Abgabe der Erklärung beantragte er eine abweichende Festsetzung der Einkommensteuer für 2009 gem. § 163 AO in Verbindung mit einem Erlass nach § 227 AO. Der erklärte Gewinn aus Gewerbebetrieb i.H.v. …T EUR beruhe i.H.v. …T EUR auf dem Forderungsverzicht der Volksbank; insoweit liege ein Sanierungsgewinn vor.
Dem folgte der Antragsgegner nicht, sondern erließ am 5. August 2011 einen Bescheid über Einkommensteuer für 2009, in dem er die Einkünfte aus Gewerbebetrieb ohne Abzug eines Sanierungsgewinns in der erklärten Höhe berücksichtigte und die Einkommensteuer entsprechend festsetzte. Der Bescheid blieb – dies ist zwischen den Beteiligten mittlerweile unstreitig – unangefochten.
Den Antrag auf abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 28. Oktober 2011 ab. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies der Antragsgegner mit Einspruchsentscheidung vom 26. Februar 2021 als unbegründet zurück. Am 30. März 2021 hat der Antragsteller hiergegen Klage erhoben, die unter dem Geschäftszeichen 2 K 1097/21 geführt wird.
Unter dem 10. Dezember 2020 hatte der Antragsteller einen Antrag nach § 52 Abs. 4a Satz 3 und Abs. 5 Satz 4 EStG i.V.m. § 3a EStG und § 7b GewStG auf Feststellung bzw. Berücksichtigung eines Sanierungsertrags gestellt, den der Antragsgegner mit Bescheid vom 19. Februar 2021 ablehnte. Hiergegen legte der Antragsteller am 15. März 2021 Einspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung betreffend Einkommensteuer 2009 i.V.m. dem Antrag gem. §§ 52, 3a EStG lehnte der Antragsgegner mit Verfügung vom 19. Mai 2021 ab.
Das Verfahren 2 K 1097/21 ruht bis zum Ergehen einer rechtskräftigen Endentscheidung über den Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 19. Februar 2021 (Beschluss vom 11. November 2021, 2 K 1097/21). Der Antragsgegner betreibt bislang nicht die Vollstreckung gegen den Antragsteller.
Am 29. November 2021 hat der Antragsteller bei Gericht den sinngemäßen Antrag gestellt,
die Vollziehung des Bescheids über die Ablehnung der Feststellung der Höhe eines Sanierungsertrags für 2009 vom 19. Februar 2021 bis einen Monat nach Bekanntgabe einer Entscheidung über den Einspruch dergestalt auszusetzen, dass vorläufig von dem erklärten Sanierungsgewinn ausgegangen wird.
Er trägt im Wesentlichen vor, der Antrag sei begründet. Es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts. Denn die Voraussetzungen für ei...