Entscheidungsstichwort (Thema)

Nichtigkeit von Schätzungsbescheiden. Zugangsvermutung und Postabsendeverfahren. Nichtigkeit und Einkommensteuer 1996 und 1997

 

Leitsatz (amtlich)

1. Nicht fristgebundene Klagen gegen Schätzungsbescheide sind nur möglich, wenn die Veranlagungen wegen überhöhter, bewusst völlig überzogener Schätzungen nichtig sind.

2. Wird ein Schätzungsbescheid nicht unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellt, so ist er regelmäßig nicht nichtig, sondern nur anfechtbar, wenn er den Hinweis enthält, dass er auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruht.

3. Das im Saarland praktizierte Postabsendeverfahren ist ein Indiz dafür, dass Bescheiddatum und Absendetag übereinstimmen.

 

Normenkette

AO § 162 Abs. 1 S. 1, § 125 Abs. 1, 3, § 164 Abs. 1 S. 1, § 122 Abs. 2 Hs. 1 Nr. 1

 

Tenor

Die Klage wird als unbegründet abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern zu ¾ und dem Beklagten zu ¼ auferlegt.

 

Tatbestand

Der Kläger ist Inhaber eines Installationsbetriebes. Er wird mit der Klägerin zusammen zur Einkommensteuer veranlagt (Bl. 14).

Da die Kläger für die Jahre 1995 bis 1997 keine Steuererklärungen einreichten, erließ der Beklagte – jeweils aufgrund geschätzter Besteuerungsgrundlagen – Einkommensteuerbescheide für 1995 vom 11. Mai 1998 sowie für 1996 und 1997 vom 30. November 1998 und gegen den Kläger Bescheide für Umsatzsteuer 1995 vom 11. Mai 1998, für 1996 und 1997 vom 30. November 1998 und wegen Gewerbesteuermessbetrags für 1997 vom 30. November 1998 (Bl. 13). Mit Ausnahme der Einkommensteuerbescheide für 1996 und 1997 (Bl. 25, 26) waren sämtliche Bescheide unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellt (Bl. 14). Im Einkommensteuerbescheid für 1997 wurden vierteljährliche Einkommensteuervorauszahlungen für 1999 und 2000 festgesetzt (Bl. 2 Rs. ESt 97).

Die Einkommen- und Umsatzsteuer für 1995 wurde durch Giroüberweisung vom 24. August 1998 bezahlt (Bl. 12 Rb). Eine weitere Banküberweisung über 32.032,07 DM ging ohne Zweckangabe am 31. Mai 1999 beim Beklagten ein. Der Betrag wurde auf Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Nebenforderungen für 1996 und 1997 sowie auf Einkommensteuervorauszahlungen für 1999 verbucht (Bl. 33 f., 57 f. FG; 12 ff. Rb).

Auf eine Zahlungsaufforderung des Beklagten vom 30. August 1999 betreffend die Einkommensteuervorauszahlung für das 2. Kalendervierteljahr 1999 wandte sich der Kläger am 3. September 1999 gegen die Höhe dieser Vorauszahlung und erhob „gegen die Schätzungen” Einspruch, „da sie zu hoch sind”. Ferner kündigte er an, sich zu „bemühen, schnellstmöglich die Einkommensteuer 1998 durch einen Steuerberater …. vorzulegen” (Bl. 70 f. FG; Original = Bl. 8 ESt 97).

Ausweislich eines Aktenvermerkes des Beklagten vom 3. April 2001 (Bl. 61 FG, 2 Rb) bat der nunmehrige Prozessbevollmächtigte der Kläger am 7. Februar 2001 telefonisch um Auskunft, ob die Einkommen-, Umsatz- und Gewerbesteuermessbescheide für 1995 bis 1997 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen seien, da die Bescheide beim Steuerpflichtigen nicht vorhanden wären. Nach Übersendung von Bescheidkopien legten die Kläger unter Vorlage der Steuererklärungen am 27. Februar 2001 gegen sämtliche vorgenannten Bescheide Einspruch ein (Bl. 3 Rb). Der Beklagte folgte den Steuererklärungen und erließ am 24. April 2001 abhelfende Änderungsbescheide, soweit die Ausgangsbescheide unter den Vorbehalt der Nachprüfung gestellt waren. Alsdann verwarf er durch Einspruchsentscheidung vom 2. Juli 2001 (Bl. 13 ff.) die Einsprüche als unzulässig, und zwar auch insoweit, als Abhilfebescheide ergangen waren.

Mit ihrer am 31. Juli 2001 erhobenen Klage begehrten die Kläger neben der erklärungsgemäßen Festsetzung der Einkommensteuer 1996 und 1997 zugleich die Feststellung der Nichtigkeit der Einspruchsentscheidung zumindest insoweit, als dadurch auch „Einsprüche” gegen die abhelfenden Änderungsbescheide vom 24. April 2001 als unzulässig verworfen wurden (Bl. 2, 20 f.). Durch Bescheid vom 20. November 2001 hat der Beklagte die Wirkung seiner Einspruchsentscheidung auf die Einsprüche der Kläger gegen die Einkommensteuerbescheide für 1996 und 1997 vom 30. November 1998 beschränkt (Bl. 49), so dass sich die Kläger nur noch gegen diese beiden Bescheide wenden (Bl. 46 f.).

Sie beantragen (sinngemäß Bl. 20),

unter Änderung der Bescheide vom 30. November 1998 und der Einspruchsentscheidung vom 2. Juli 2001 in der Änderungsfassung vom 20. November 2001 die Einkommensteuer für 1996 und 1997 erklärungsgemäß festzusetzen.

Die beiden Einkommensteuerbescheide seien bereits nichtig, weil der Beklagte die Einkünfte des Klägers aus Gewerbebetrieb mit 45.000 bzw. 50.000 DM im Vergleich zu den tatsächlich erzielten Einnahmen von lediglich 24.082 bzw. 23.185 DM unverhältnismäßig hoch angesetzt habe. Außerdem habe der Beklagte diese ersichtlich überhöhten und damit willkürlichen Ansätze in der Einspruchsentscheidung allein damit begründet, „dass die Kläger auf die Anforderungen des Finanzamtes nicht reagiert haben” (Bl. 23 f.).

Nichtig seien die beiden Einkommensteuerb...

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