Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksame Bekanntgabe der für Inhaftierten bestimmten Einspruchsentscheidung an die Meldeadresse in der Wohnung der Eltern
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Steuerpflichtiger ist auch während einer Inhaftierung grundsätzlich verpflichtet, Vorkehrungen wegen möglicher Zustellungen zu treffen, wenn er damit rechnen muss, dass seine durch die Inhaftierung bedingte Abwesenheit von der Wohnung nicht nur vorübergehend sein wird.
2. Gibt der Steuerpflichtige während einer über dreijährigen Inhaftierung seine bisherige Wohnung auf, meldet er sich in die Wohnung seiner Eltern um und will er seine Post grundsätzlich nicht in der Justizvollzugsanstalt, sondern unter der Adresse seiner Eltern empfangen, kann das Finanzamt zulässigerweise an ihn Bescheide unter der Adresse der Eltern bekanntgeben und die Eltern als Empfangsboten behandeln.
3. Hat der Steuerpflichtige aus der Justizvollzugsanstalt heraus auf ein an die Adresse der Eltern geschicktes Finanzamtsschreiben geantwort, dabei seinen Aufenthalt in der JVA mitgeteilt, aber nicht beantragt, dass das FA ihm den weiteren Schriftverkehr oder die Einspruchsentscheidung unter der Adresse der JVA bekannt zu geben habe, so durfte das FA weiterhin davon ausgehen, dass es die bisherige Postadresse bei den Eltern auch für den künftigen Kontakt mit dem Steuerpflichtigen nutzen konnte.
Normenkette
AO §§ 366, 122 Abs. 2 Nr. 1; FGO § 47 Abs. 1, § 56 Abs. 1-2
Tenor
1. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Tatbestand
Der Kläger erzielte als Rechtsanwalt Einkünfte aus selbständiger Arbeit (§ 18 EStG).
Am 25. Juli 2006 ging beim Beklagten der vom Kläger ausgefüllte Fragebogen zur steuerlichen Erfassung einer selbständigen (freiberuflichen) Tätigkeit ein. Dem Fragebogen war zu entnehmen, dass der in der X-straße, A-Stadt wohnende Kläger seit dem 1. August 2006 in Bürogemeinschaft mit dem Rechtsanwalt R in der Y-straße, B-Stadt ein Anwaltsbüro betrieb.
Nachdem der Kläger keine Steuererklärungen eingereicht hatte, erließ der Beklagte am 3. Juli 2008 und 28. Oktober 2009 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO) stehende Feststellungsbescheide für 2006 und 2007, deren Grundlagen der Beklagte durch Schätzung (§ 162 AO) ermittelte. Gegen die Bescheide legte der Kläger keine Einsprüche ein.
Auch für das Streitjahr 2008 erließ der Beklagte mangels Erklärungsabgabe am 29. Oktober 2009 einen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Schätzungsbescheid, durch den er die Einkünfte des Klägers aus selbständiger Arbeit auf 20.000 EUR schätzte. Der Bescheid war an den Kläger unter der Wohnadresse Z-Straße, A-Stadt adressiert. Unter dieser Adresse war der Kläger bis zum 1. November 2010 amtlich gemeldet.
Am 4. Dezember 2009 legte der Rechtsanwalt R, der von der Rechtsanwaltskammer des Saarlandes gemäß § 53 BRAO zum Vertreter des Klägers bestellt wurde, Einspruch gegen den Feststellungsbescheid 2008 ein. Er teilte mit, dass sich der Kläger seit fünf Monaten in der Justizvollzugsanstalt befinde.
Mit Schreiben vom 9. Juli 2012 wies der Beklagte den Kläger auf die Verfristung des Einspruchs hin und forderte ihn auf, Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorzutragen. Das Schreiben war an die D-Straße, C-Stadt adressiert, wo der Kläger seit dem 1. November 2010 gemeldet war. Am 23. Juli 2012 teilte der Kläger dem Beklagten unter der Adresse E-Straße, D-Stadt mit, dass er sich in der Justizvollzugsanstalt befinde und bat um Fristverlängerung zur Stellungnahme bis zum 31. Juli 2012.
Durch Entscheidung vom 6. August 2012 hat der Beklagte den Einspruch wegen Verfristung als unzulässig verworfen. Die Einspruchsentscheidung war an den Kläger, D-Straße, C-Stadt adressiert.
Am 20. September 2012 hat der Kläger Klage erhoben. Er beantragt sinngemäß,
den Feststellungsbescheid vom 29. Oktober 2009 i.F.d. Einspruchsentscheidung vom 6. August 2012 aufzuheben.
Der Schätzungsbescheid vom 29. Oktober 2009 sei nicht wirksam bekannt gegeben worden. Der Kläger sei am 29. Juni 2009 unerwartet verhaftet worden. In der Untersuchungshaft sei er von der Außenwelt abgeschnitten gewesen. Sein Strafverteidiger habe sich lediglich um das Strafverfahren gekümmert. Seine alte Wohnung habe er nach der Inhaftierung aufgegeben. Die Haftentlassung sei am 12. September 2012 erfolgt. Bei einem Besuch bei seinen Eltern in der D-Straße, C-Stadt, habe er am 18. September 21012 die Einspruchsentscheidung des Beklagten erhalten. Obwohl er dem Beklagten am 23. Juli 2012 mitgeteilt habe, dass er sich in Haft befinde, sei die Einspruchsentscheidung an die Adresse der Eltern gesandt worden.
Nach Erhalt des Schreibens des Beklagten vom 29. Juli 2012 habe der Kläger seine Unterlagen noch einmal durchgesehen. Der Feststellungsbescheid vom 29. Oktober 2012 befinde sich nicht in seinen Unterlagen. Er habe ihn auch nicht von dem Rechtsanwalt R erhalten.
Erst nach der Haftentlassung sei der Kläger in der Lage, seine Angelegenheiten zu regeln. Wegen der ...