Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuer und Gewerbesteuermessbeträge 1986 bis 1993. Auftragsbeschaffung für ein gewerbliches Unternehmen als gewerbliche Tätigkeit. Schätzung der Besteuerungsgrundlagen eines Gewerbetreibenden, der weder seine Umsätze noch seine gewerblichen Einkünfte ordnungsgemäß aufgezeichnet hat
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Steuerpflichtiger, der bei der Auftragsbeschaffung für ein gewerbliches Unternehmen seine Tätigkeit und Arbeitszeit im Wesentlichen frei gestalten und bestimmen und seine Vergütung unter Ausübung erheblichen Vertragsdruckes „nach eigenem Ermessen” festlegen kann, ist Gewerbetreibender. Dass der Steuerpflichtige die Betätigung im Rahmen eines Steuerhinterziehungsmodells verdeckt vollzogen hat, ist für seine Steuerpflicht als selbständiger gewerblicher Unternehmer ohne Belang.
2. Wer ganz wesentlich dafür sorgt, dass ein fremdes Drittunternehmen überhaupt produzieren und Gewinne erzielen kann, lässt sich dies im Wirtschaftsleben regelmäßig auch dann entsprechend hoch vergüten, wenn er bereits anderweitig gut verdient.
3. Stellt sich ein Steuerpflichtiger nach der Art seiner ausgeübten Tätigkeit als selbständiger Gewerbetreibender dar und hat er weder seine Umsätze noch seine gewerblichen Einkünfte ordnungsgemäß aufgezeichnet, so hat die Finanzbehörde die entsprechenden Besteuerungsgrundlagen auch dann zu ermitteln, wenn der Steuerpflichtige infolge seines Todes seinen ihm nach § 90 Abs. 1 AO obliegenden Mitwirkungspflichten nicht mehr genügen kann. Dabei darf sie auf eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nach Maßgabe des § 162 Abs. 2 AO nur zurückgreifen, wenn ihr eine andere zumutbare Ermittlungsmöglichkeit nicht zur Verfügung steht. Besteht eine solche Ermittlungsmöglichkeit, kommt eine Schätzung nach § 162 Abs. 2 AO lediglich noch insoweit in Betracht, als es greifbare Anhaltspunkte für den Abzug im Einzelnen nicht bekannter, aber wahrscheinlicher Betriebsausgaben gibt.
4. Sollen schätzungsweise ermittelbare Betriebsausgaben an unbekannte Dritte gezahlt worden sein, greift § 160 Abs. 1 Satz 1 AO ein. Nur soweit Steuerausfälle nicht zu erwarten stehen, können Ausgaben trotz fehlender Empfängerbezeichnung zum Abzug zugelassen werden. Auf eine Schätzung eventueller Betriebsausgaben kann verzichtet werden, wenn diese nach § 160 AO ohnehin nicht abziehbar sind.
Normenkette
EStG § 15 Abs. 2; GewStG § 2 Abs. 1; UStG § 2 Abs. 1; AO 1977 § 88 Abs. 1, § 90 Abs. 1, § 160 Abs. 1, § 162 Abs. 2
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird als unbegründet abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit von Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermessbescheiden für 1986 bis 1993.
Der Kläger ist der Konkursverwalter über den Nachlass des am 23. November 1993 tödlich verunglückten S (Bl. 237 NachlasskonkursA – NLK – II), der von seiner Ehefrau G. S alleine beerbt wurde. Nach den Feststellungen der Fahndungsprüfung des Finanzamtes Kaiserslautern sollte der Erblasser von 1986 bis zu seinem Tode der Fa. H-GmbH, einem Zulieferer der Automobilindustrie, gegen nicht versteuerte Provisionszahlungen in Höhe von insgesamt 3.484.525,61 DM Aufträge der Automobilindustrie verschafft haben (Bl. 80 FG, 7 ff. Bp II). Hierwegen machten der Beklagte und die Stadt P Steuernachforderungen in Millionenhöhe gegen die Alleinerbin geltend (USt, GewSt, Bl. 11, 38 ff. NLK I), worauf diese das am 6. Oktober 1995 eröffnete Nachlasskonkursverfahren einleitete.
Ermittlungsanlass für das Finanzamt Kaiserslautern war ein 1995 bei einer Steuerfahndungsprüfung bei dem Schwiegersohn des Erblassers aufgefundener Vertrag vom 1. Juli 1986/23. März 1990 ((Bl. 162 FG, Rb I a.E.; Ordner Falken 1, Bl. 6 bis 9). Danach hatte sich der Erblasser, der ab 1985 bis zum 31. Dezember 1990 – zuletzt als Prokurist – für die Fa. D-GmbH tätig war (Bl. 14, 22 FG, 7 Bp I, 163 in LG 10 O 515/96), gegenüber der H-GmbH verpflichtet, für eine von der H-GmbH zu versteuernde Provision von 3 % auf den jeweiligen Auftragswert Geschäfte für diese Gesellschaft zu tätigen. Nach dem Ermittlungsergebnis der Steuerfahndung sollen dem Erblasser von der H-GmbH in den Jahren 1986 bis 1993 jedoch wesentlich höhere Provisionen unversteuert bar ausgezahlt worden sein. Die Mittel hierfür sollen nach Angaben des Alleingesellschafters K der H-GmbH und ihres Geschäftsführers H, der seine Aussage am 12. Juni 1995 vor dem Amtsgericht – AG – Ottweiler eidlich bekräftigt hat (Bl. 61 f. mit 54-60 FG), durch zurückgeflossene Zahlungen der H-GmbH auf Scheinrechnungen der Bauunternehmung E-GmbH (1986 bis 1991), der KPT (im Ausland) (1991/92) und der FMA (im Ausland) (1992/93) aufgebracht worden sein (Bl. 7 ff. Bp II, 31-33 Bp I, 64-75 FG).
Die Einsprüche der Alleinerbin gegen die streitbefangenen Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermessbescheide 1986 bis 1993 vom 22. August 1995 wurden durch Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 13. April 1999 zu Händen des Kläger...