Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Anlaufhemmung der Festsetzungsfrist bei Abgeltung des Steueranspruchs durch Steuerabzug. Bekanntgabe eines Steuerbescheides an eine nicht mehr aktuelle Anschrift des Adressaten. Lohnsteuernachforderung 1989
Leitsatz (amtlich)
1. Der Beginn der Festsetzungsfrist ist nicht gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO gehemmt, wenn die inländischen Einkünfte des (beschränkt) Steuerpflichtigen durch den Steuerabzug als abgegolten gelten, und somit keine Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung bestanden hat. Dies gilt unabhängig davon, ob ein Steuerabzug tatsächlich vorgenommen worden ist.
2. Ein Verwaltungsakt, der dem Steuerpflichtigen durch die Post an eine aktuell nicht mehr gültige Anschrift übermittelt wird, gilt dennoch am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, wenn feststeht, dass der Bescheid in den Machtbereich des Bekanntgabeadressaten gelangt ist.
Normenkette
AO 1977 § 169 Abs. 1 S. 1, § 170 Abs. 2 Nr. 1; EStG 1987 § 25 Abs. 3; EStDV 1986 § 25 Abs. 3 S. 1; EStG 1987 § 50 Abs. 5, § 49 Abs. 1 Nr. 4; AO 1977 § 124 Abs. 1 S. 1, § 122 Abs. 2 Nr. 1
Tenor
1. Der Nachforderungsbescheid für 1989 über Lohnsteuer und Kirchensteuer vom 16. April 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Juli 1997 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten des Verfahrens vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Nachforderung von Lohn- und Kirchensteuer für die Zeit vom 1. Januar 1989 bis 30. Mai 1989.
Der Kläger war bis zum 31. Mai 1989 bei der A-AG angestellt und erzielte mit dieser Tätigkeit Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Zu jener Zeit war der Kläger mit Wohnsitz in G. (Frankreich) gemeldet. Auf den Antrag des Klägers hat das beklagte Finanzamt am 3. März 1988 eine Freistellungsbescheinigung nach § 39b Abs. 6 Einkommensteuergesetz – EStG – i. V. m. Art. 13 Abs. 5 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 21. Juli 1959 (in der Fassung des Revisionsprotokolls vom 9. Juni 1969, BGBl. II 1970 S. 719, und des Zusatzabkommens vom 28. September 1989, BGBl. II 1990 S. 770) – DBA-Frankreich –, Bundesgesetzblatt Teil II – BGBl. II 1961 S. 398, ausgestellt. Aufgrund der vom Kläger vorgelegten Bescheinigung behielt die Arbeitgeberin keine Lohnsteuer vom Lohn des Klägers ein.
Eine in der Zeit vom 19. Januar 1993 bis 10. Mai 1993 bei der Arbeitgeberin durchgeführte Lohnsteuer-Außenprüfung ergab nach Auffassung der Prüfer, dass die im DBA-Frankreich geregelten Voraussetzungen für eine Freistellung des Klägers nicht vorgelegen haben. Der Beklagte hat daraufhin die Arbeitgeberin des Klägers im Wege der Haftung in Anspruch genommen, jedoch wurde der Haftungsbescheid im Laufe des sich daran anschließenden finanzgerichtlichen Verfahrens 2 K 185/96 in dem den Kläger betreffenden Haftungstatbestand aufgehoben, so dass das Verfahren aufgrund übereinstimmender Erledigungserklärungen eingestellt worden ist (Beschluss vom 25. April 1997 2 K 185/96).
Mit Bescheid vom 16. April 1997 hat der Beklagte gegenüber dem Kläger nachzufordernde Lohnsteuer und Kirchensteuer in Höhe von insgesamt 252.497,50 DM festgesetzt. Der Bescheid war an den Kläger persönlich unter der Anschrift … adressiert. Dort hatte der Kläger weder eine Wohnung noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt noch war er dort polizeilich gemeldet. Den dagegen gerichteten Einspruch vom 2. Mai 1997 hat der Beklagte in seiner Einspruchsentscheidung vom 22. Juli 1997 als unbegründet zurückgewiesen.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 23. Juli 1997 erhobenen Klage.
Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, der angefochtene Haftungsbescheid sei nicht wirksam bekannt gegeben worden. Die Bezüge aus seiner nichtselbständigen Tätigkeit in der Zeit vom 1. Januar bis 30. Mai 1989 unterlägen nicht der Besteuerung in Deutschland, denn der Kläger sei in dieser Zeit insgesamt nur an neun Tagen nicht an seinen Wohnort zurückgekehrt oder außerhalb der Grenzzone tätig gewesen. Der Nachforderungsbescheid entspreche nicht den an einen Steuerbescheid zu stellenden Anforderungen, denn es werden weder die Steuerbemessungsgrundlage noch die Berechnung der Steuern ausgewiesen. Die Steuern seien offensichtlich überhöht, denn der Kläger habe in der Zeit vom 1. Januar bis 30. Mai 1989 lohnsteuerpflichtige Bezüge maximal in Höhe der Hälfte der festgesetzten Steuern bezogen. Außerdem sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Es gelte die regelmäßige vierjährige Festsetzungsfrist, die beim Erlass des angefochtenen Nachforderungsbescheides bereits abgelaufen gewesen sei. Eine Anlaufhemmung greife im Streitfall nicht, da der Kläger ni...