Entscheidungsstichwort (Thema)

Kurz vor Abschluss des Verbraucherinsolvenzverfahrens über das Vermögen einer Vereinsvorsitzenden infolge unterlassener Überwachungs- und Informationsmaßnahmen ergangener Haftungsbescheid gegen die Vereinsvorsitzende für Steuernachforderungen gegen den Verein infolge Aberkennung der Gemeinnützigkeit

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Auch wenn der 1. Schatzmeister von der Vorsitzenden eines Vereins eine Generalvollmacht erhalten, sich als faktischer Vorsitzender geriert und dabei gemeinnützigkeitsschädlich in erheblichem Umfang Spenden veruntreut hat, so haftet die Vorsitzende als gesetzliche Vertreterin des Vereins für die durch die nachträgliche Aberkennung der Gemeinnützigkeit bei dem Verein angefallenen Steuernachforderungen. War sie tatsächlich nicht mehr in der Lage, sich innerhalb des Vereins durchzusetzen und ihrer Rechtsstellung gemäß zu handeln, so hätte sie als Vereinsvorsitzende sofort zurücktreten müssen und nicht den Eindruck erwecken dürfen, als sorge sie für die ordnungsgemäße Abwicklung der Geschäfte.

2. Ein Pflichtverletzung der Vereinsvorsitzenden ist anzunehmen, wenn sie trotz früherer Unregelmäßigkeiten bei dem Verein und daran in der Presse geübter Kritik u. a. weder von dem groben Missverhältnis zwischen Verwaltungs- und Werbeaufwendungen und der unmittelbaren Förderung der satzungsmäßigen Zwecke bei dem Verein Kenntnis genommen noch die Finanzbehörde darüber informiert hat und sich weiter auf die unrichtigen Berichte des Schatzmeisters verlassen hat.

3. Wird der Haftungsbescheid erst nach Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens über das Vermögen der Vereinsvorsitzenden und dem überwiegenden Ablauf der Wohlverhaltensphase erlassen, so handelt das FA ermessensfehlerhaft, wenn es kurz vor dem Abschluss des Insolvenzverfahrens Haftungsschulden festsetzt, die auf Pflichtverletzungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückgehen und deshalb Insolvenzforderungen (§ 38 InsO) darstellen, und insoweit nicht bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens und der Erteilung der Restschuldbefreiung zuwartet.

4. Soweit der Haftung Pflichtverletzungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Haftungsschuldners zugrunde liegen, ist der Haftungsanspruch für vor der Insolvenzeröffnung entstandene Steuern insolvenzrechtlich vor der Insolvenzeröffnung begründet und stellt daher eine Insolvenzforderung (§ 38 InsO) dar.

5. Für die insolvenzrechtliche Begründung eines Haftungsanspruchs betreffend Steuern kommt es grundsätzlich nicht auf die Begründung der Steueransprüche an, sondern darauf, wann der Rechtsgrund für die Haftung gelegt wurde, also der Zeitpunkt, in dem das haftungsrelevante Tun oder Unterlassen geschah. Knüpft die Haftung einer Vereinsvorsitzenden an die Erteilung der Generalvollmacht an eine andere Person und das pflichtwidrige Unterlassen von Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen sowie der Information des FA während des gesamten Haftungszeitraums an, ist es sachgerecht, für die Begründung der Haftungsschuld auf die Begründung der Steuerschulden abzustellen.

 

Normenkette

AO § 69 S. 1, § 34 Abs. 1, § 191 Abs. 1 S. 1, § 37 Abs. 1, § 51 Abs. 1, § 55 Abs. 1, § 5; InsO §§ 38, 287 Abs. 2, § 301 Abs. 1 Sätze 1-2; BGB § 26 Abs. 1; KStG § 5 Abs. 1 Nr. 9

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 12.06.2018; Aktenzeichen VII R 2/17)

BFH (Urteil vom 12.06.2018; Aktenzeichen VII R 2/17)

 

Tenor

Unter Änderung des Haftungsbescheids vom …. in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … wird die Haftungsschuld auf x.xxx EUR festgesetzt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in Höhe von x %. Im Übrigen trägt sie der Beklagte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit leistet.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Das Verfahren betrifft die Rechtmäßigkeit eines gegenüber der Klägerin ergangenen Haftungsbescheids unter anderem für Umsatzsteuer- und Körperschaftsteuerschulden des Vereins Y e.V.

Der Verein wurde im Jahr 01 gegründet und hatte seinen Sitz in Z. Er verfolgte laut Satzung den Zweck, die Errichtung und Betreibung von kindgerechten Kliniken zu fördern, und machte es sich zur Aufgabe, krebskranke Kinder und deren Eltern zu unterstützen. Das seinerzeit zuständige Finanzamt A erkannte die Gemeinnützigkeit des Vereins – widerruflich und befristet bis zum 30. September 03 – an.

Die Klägerin, die als Kraftfahrerin berufstätig ist, war ab der Vereinsgründung Erste Vorsitzende. Schatzmeister war Herr B, dem die Klägerin im März 02 die uneingeschränkte Vollmacht erteilte, die Geschäfte des Vereins an ihrer Stelle zu führen. Ende August 08 legte die Klägerin ihr Amt nieder; die entsprechende Eintragung im Vereinsregister erfolgte im November 08. Als neuer Erster Vorsitzender wurde im September 08 der vorerwähnte Herr B gewählt. Im Februar 09 wurde dem Verein wegen Unterschreitens der erforderlichen Mitgliede...

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