Entscheidungsstichwort (Thema)

Einspruch vor Bekanntgabe des Verwaltungsakts unzulässig. Ladung des Bevollmächtigten zur mündlichen Verhandlung ausreichend. Unzulässigkeit eines in Prozessverschleppungsabsicht gestellen Terminsverlegungsantrags bzw. Befangenheitsantrags

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Vor Bekanntgabe eines Verwaltungsakts kann ein Rechtsbehelf nicht rechtswirksam eingelegt werden.

2. Soweit ein Prozessbevollmächtigter bestellt ist, ist die Ladung zur mündlichen Verhandlung diesem zuzustellen. Zur Bestellung genügt es, dass jemand durch ausdrückliche oder schlüssige Handlung dem Gericht gegenüber als Bevollmächtigter aufgetreten ist.

3. Dem kurzfristig vor der mündlichen Verhandlung gestellten Terminsverlegungsantrag muss nicht entsprochen werden, wenn der Prozessbevollmächtigte weitgehend gleich vorgeht wie in zahlreichen Prozessen des Steuerpflichtigen in der Vergangenheit (u.a. Anträge auf Terminsverlegung kurze Zeit vor der mündlichen Verhandlung, Stellung von Befangenheitsanträgen, Häufung verfahrensrechtlicher Anträge im zeitlichen Kontext der bevorstehenden Sitzung bzw. innerhalb derselben oder nach Schluss der mündlichen Verhandlung) und wenn das gesamte Vorgehen des Klägers nach Auffassung des Gerichts darauf hinweist, dass es dem Kläger in erster Linie darum geht, die Entscheidung in der Sache zu verzögern bzw. zu verhindern und die Sache insgesamt aufzubauschen.

4. In Fällen offenbarer Unzulässigkeit oder rechtsmissbräuchlicher Ablehnung darf über das Richterablehnungsgesuch auch in den Gründen des die Instanz abschließenden Urteils entschieden werden, und zwar unter Einschluss des oder der abgelehnten Richter und ohne Abgabe dienstlicher Äußerungen. Ein Beteiligter, der mit allen nur denkbaren (zulässigen und auch unzulässigen) Mitteln versucht, eine gerichtliche Entscheidung zu verhindern, handelt missbräuchlich. Wenn dann das Gericht, insbesondere nach längerer Anhängigkeit des Verfahrens, auf eine Endentscheidung hinwirkt, erzeugt dies nicht den Anschein der Befangenheit.

 

Normenkette

AO § 355 Abs. 1 S. 1, § 122 Abs. 2; FGO § 51 Abs. 1, § 62 Abs. 3 S. 5, § 91 Abs. 1, § 155; ZPO §§ 42, 44 Abs. 1, § 227 Abs. 2-3; GG Art. 103 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 01.07.2010; Aktenzeichen V B 108/09)

 

Tenor

Die Klage wird als unbegründet abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

 

Tatbestand

Die Klägerin streitet mit dem Beklagten um die Zulässigkeit von Einsprüchen gegen die geänderten Umsatzsteuerbescheide der Streitjahre 1990 bis 1995.

Der Beklagte erließ am 25. April 2005 geänderte Umsatzsteuerbescheide für 1990 bis 1993 sowie am 8. Juni 2005 geänderte Umsatzsteuerbescheide für 1994 und 1995 (USt). Bereits am 18. April 2005 ging beim Beklagten das Schreiben der Klägerin vom selben Tag ein, mit dem diese Einspruch gegen die „neue (vorläufige) Festsetzung der Umsatzsteuer 1990 – 2002” einlegte (Rbh, Bl. 1). Nachdem die Klägerin auf den Hinweis des Beklagten, der Einspruch sei unzulässig, weil er vor Bekanntgabe der Bescheide eingelegt worden sei (Rbh, Bl. 14), nicht reagiert hatte, verwarf der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 26. Oktober 2005 die Einsprüche vom 18. April 2005 als unzulässig (Rbh, Bl. 16).

Am 28. November 2005 erhob die Klägerin Klage (Bl. 1). Sie beantragt sinngemäß (Bl. 2),

die Einspruchsentscheidung vom 26. Oktober 2005 aufzuheben.

Die Klägerin macht geltend, sie habe gegen die Bescheide vom 25. April 2005 und 8. Juni 2005 ordnungsgemäß Einspruch eingelegt, und zwar (erst) am 6. Mai 2005 bzw. am 22. Juni 2005. Bei Einlegung des Einspruchs am 18. April 2005 sei ihr der Inhalt der Bescheide bereits bekannt gewesen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage als unbegründet abzuweisen.

Der Beklagte verweist darauf, dass Gegenstand der Klage allein die Frage der Zulässigkeit der am 18. April 2005 eingelegten Einsprüche, und nicht die der Einsprüche vom 6. Mai 2005 oder 22. Juni 2005 sei.

Die Klägerin hat im zeitlichen Zusammenhang mit der mündlichen Verhandlung die Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt. Sie ist der Auffassung, dass mit Blick darauf der Termin zur mündlichen Verhandlung aufzuheben sei. Überdies sei ihr Akteneinsicht zu gewähren. Die Klägerin hat überdies mehrere Befangenheitsanträge gegen den Vorsitzenden des Senats sowie den Berichterstatter gestellt. Hinzu kommen weitere Verfahrensanträge, auf die gleichermaßen Bezug genommen wird.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die beigezogenen Verwaltungsakten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Beklagte hat die Einsprüche der Klägerin vom 18. April 2005 zu Recht als unzulässig verworfen.

A. Allgemeine Verfahrensfragen

1. Ordnungsgemäße Ladung zum Termin der mündlichen Verhandlung

Die Klägerin ist zum Termin der mündlichen Verhandlung am 9. Juli 2009 ordnungsgemäß geladen worden.

1.1. Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mi...

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