Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlass von Einkommensteuer bei Versagung der Steuervergünstigung für eine in zwei Teilbeträgen ausbezahlte Abfindung. sachliche Unbilligkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Wird dem Steuerpflichtigen mehr genommen, als er erwirtschaftet hat, wird die Einkommensteuer zur Substanzsteuer und verliert dadurch ihre verfassungsrechtliche Rechtfertigung, so dass der damit einhergehende Grundrechtseingriff nicht mehr verfassungsgemäß ist.
2. Wird eine Entschädigung in zwei Teilbeträgen ausbezahlt und daher wegen fehlender Zusammenballung zum normalen Tarif besteuert, so dass im Ergebnis die zweite Entschädigungsrate hinwegbesteuert wird, ist die auf die Abfindung entfallende Einkommensteuer aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, soweit sie die bei Anwendung des ermäßigten Steuersatzes entstehende Steuer übersteigt.
Normenkette
AO 1977 § 227; EStG 1990 § 34 Abs. 1, 2 Nr. 2, § 24 Nr. 1 Buchst. a
Nachgehend
Tenor
1. Der Bescheid vom 26. Februar 2002 und die Einspruchsentscheidung vom 18. Oktober 2002 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, die Einkommensteuer des Klägers für die Jahre 1995 und 1996 insoweit zu erlassen, als die vom Kläger im Dezember 1995 vereinnahmte Abfindung in Höhe von 150.000 DM und die im Januar 1996 in Höhe von 30.000 DM vereinnahmte Abfindung nach Abzug eines Freibetrags in Höhe von 24.000 DM mit mehr als dem hälftigen Steuersatz versteuert worden sind. Die Berechnung wird dem Beklagten in entsprechender Anwendung von § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO übertragen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Betrags abwenden, sofern nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Frage des Erlasses von Einkommensteuer.
Der zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagte Kläger erzielte als Vertriebsleiter der A-AG Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§§ 2 Abs. 1 Nr. 4, 19 Abs. 1 EStG). Daneben war er auch für das Handelshaus T. S.A., das wie die A-AG zum Konzern der A-M AG gehört, tätig.
Am 12 Dezember 1995 schlossen der Kläger und die A-AG einen „Aufhebungsvertrag”. Nach § 1 dieses Vertrages sollte das Anstellungsverhältnis des Klägers bei der A-AG und der T. S.A. mit Ablauf des 28. Februar 1996 enden. Gemäß § 2 des Vertrages hatte die A-AG dem Kläger zum Ausgleich für die Aufgabe seines sozialen Besitzstandes einen Betrag von 180.000 DM zu zahlen. Von diesem Betrag sollten zunächst 150.000 DM „unverzüglich nach Anteilsübertragung” und der Restbetrag „mit Beendigung des Angestelltenverhältnisses” ausgezahlt werden. All dies sollte gemäß §§ 7, 8 des Vertrages nur gelten, wenn der Kläger allein oder mit anderen von ihm zu benennenden Partnern bis zum 14., spätestens aber bis zum 31. Dezember 1995 sämtliche Aktien der T. S.A. erwerben würde, was denn auch geschah. Anderenfalls wurde das Angestelltenverhältnis des Klägers gemäß § 9 des Vertrages zum 30. Juni 1996 ordentlich gekündigt.
Der Beklagte veranlagte den Kläger und dessen Ehefrau zunächst antragsgemäß für den Veranlagungszeitraum 1995, wobei er nach Abzug eines Freibetrages in Höhe von 24.000 DM (§ 3 Nr. 9 EStG) den Betrag von 126.000 DM der ermäßigten Besteuerung nach § 34 Abs. 1 EStG unterworfen hatte, und erließ am 25. November 1996 einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid.
Danach wurde dem Beklagten bekannt, dass der Kläger, der im Jahre 1996 Geschäftsführergehälter in Höhe von 198.003 DM bezogen hat, in diesem Jahr den weiteren Abfindungsbetrag in Höhe von 30.000 DM erhalten hatte. In ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 1996 begehrten der Kläger und seine Ehefrau auch hierfür die ermäßigte Besteuerung nach § 34 EStG, was der Beklagte im Einkommensteuerbescheid für 1996 vom 26. Mai 1996 ablehnte. Den Einkommensteuerbescheid für 1995 änderte er dementsprechend gemäß § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO- mit Bescheid vom 26. Mai 1998, was insgesamt zu Einkommensteuernachforderungen in Höhe von 49.351 DM führte.
Die dagegen eingelegten Einsprüche wies der Beklagte mit seiner Einspruchsentscheidung vom 24. Februar 1999 als unbegründet zurück. Hiergegen wandte sich der Kläger mit seiner Klage vom 24. März 1999. Ein während des Verfahrens bei Gericht gestellter Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hatte Erfolg (Beschluss des Senates vom 30. März 2000 2 V 267/99) Der Klage hat der Senat zunächst mit Gerichtsbescheid vom 11. Dezember 2000 stattgegeben, sie jedoch aufgrund der nachfolgenden mündlichen Verhandlung im Hinblick auf die Rechtsprechung des BFH als unbegründet abgewiesen (Urteil des Senats vom 13. September 2001 2 K 99/99).
Im Nachgang zu diesem Rechtsstreit stellte der Kläger am 16. November 2001 einen Antrag auf Erlass der Eink...