rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Umsatzsteuerliche Behandlung von Strohmanngeschäften mit Branntweinlieferungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Tritt jemand im Rechtsverkehr (als sog. „Strohmann”) im eigenen Namen, aber für Rechnung eines anderen auf, der – aus welchen Gründen auch immer – nicht selbst als berechtigter oder verpflichteter Vertragspartner in Erscheinung treten will (sog. „Hintermann”), ist zivilrechtlich grundsätzlich nur der „Strohmann” aus dem Rechtsgeschäft berechtigt und verpflichtet. Dementsprechend sind dem „Strohmann” als umsatzsteuerlichem Unternehmer auch solche Leistungen zuzurechnen, die der „Hintermann” berechtigterweise im Namen des Strohmannes tatsächlich ausgeführt hat. Entsprechende Grundsätze gelten für den „Strohmann” als Leistungsempfänger.
2. Unbeachtlich ist das „vorgeschobene” Strohmanngeschäft nur dann, wenn es nur zum Schein abgeschlossen wird, d. h. wenn die Vertragsparteien – der „Strohmann” und der Leistungsempfänger – einverständlich oder stillschweigend davon ausgehen, dass die Rechtswirkungen des Geschäfts gerade nicht zwischen ihnen, sondern zwischen dem Leistungsempfänger und dem „Hintermann” eintreten sollen. Letzteres ist insbesondere dann zu bejahen, wenn der Leistungsempfänger weiß oder davon ausgehen muss, dass der Strohmann keine eigene – ggf. auch durch Subunternehmer auszuführende – Verpflichtung aus dem Rechtsgeschäft übernehmen will und dementsprechend auch keine eigenen Leistungen versteuern will.
3. Behaupten Vater und Tochter jeweils mit widersprüchlichen Erklärungen, die streitigen, bisher von niemand versteuerten Lieferungen (hier: Branntweinlieferungen) seien vom anderen erbracht worden, so sind die wahren zivilrechtlichen Verhältnisse durch eine Zeugenvernehmung u. a. der Geschäftspartner zu ermitteln.
4. Eine Schätzung der Vorsteuer (hier: im Zusammenhang mit bisher nicht versteuerten Strohmanngeschäften) ist nur zulässig, wenn davon ausgegangen werden kann, dass vollständige Rechnungsunterlagen vorhanden gewesen sind. Als Rechnung in diesem Sinne gilt auch eine Gutschrift, mit der ein Unternehmer für eine steuerpflichtige Leistung abrechnet, die von ihm ausgeführt wurde.
5. Der BFH hat die Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen (Beschluss v. 17.7.2014, XI B 8/14).
Normenkette
UStG § 2 Abs. 1 Sätze 1, 3, § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; AO § 41 Abs. 2, § 162; FGO § 76 Abs. 1 S. 1, § 81
Tenor
1. Unter Änderung der Umsatzsteuerbescheide 1992 bis 1994 vom … 2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … 2003 wird die Umsatzsteuer ohne Berücksichtigung der Umsätze an die T-GmbH (1992: 351.685 DM, 1993: 895.116 DM, 1994: 817.999 DM) und unter Kürzung der bislang berücksichtigten Vorsteuerbeträge um 3.744,49 DM für 1992, 15.228,48 DM für 1993 sowie 4.262,35 DM für 1994 festgesetzt. Dem Beklagten wird aufgegeben, die Steuer nach dieser Maßgabe neu zu berechnen. Im Übrigen wird die Klage als unbegründet abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens, einschließlich der Kosten für das Revisionsverfahren vor dem BFH (XI R 15/09), werden dem Beklagten zu 59 % und dem Kläger zu 41 % auferlegt. Der Beigeladenen werden weder Kosten auferlegt, noch außergerichtliche Kosten erstattet.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die in den Jahren 1992 bis 1994 getätigten umsatzsteuerpflichtigen Branntweinlieferungen von dem Kläger oder von dessen am … 1970 geborener Tochter (der Beigeladenen) als Unternehmer durchgeführt wurden.
Der Kläger betrieb seit 1973 einen Großhandel mit Spirituosen. 1992 wurde die ursprüngliche Umsatzsteuer sowie der Gewerbesteuermessbetrag vom Beklagten mangels Fortführung der gewerblichen Tätigkeit des Klägers auf 0 DM festgesetzt.
Der Beigeladenen wurde im Oktober 1985 der Gewerbebetrieb „Bau, Brennerei, Obstverwertung und Handel” von ihrem Großvater für die Dauer von mehreren Jahren überlassen. Wegen Verstößen gegen das Branntweinmonopolrecht wurde die Abfindungsbrennerei am … amtlich verschlossen (Fhdg Bl. 17). Im Juli 1988 wurde das Gewerbe, ausgenommen den Obstbau und die Brennerei, abgemeldet (BM I Bl. 230 f.) und 1992 die Steuernummer gelöscht (Fhdg Bl. 7).
Bei der Überprüfung von Eingangsrechnungen der Firma T-GmbH fand die Finanzverwaltung 1996 auf die Beigeladene lautende Belege aus den Jahren 1992 bis 1994 (Streitjahre) auf, wonach ca. 57.000 Liter (lA) Branntwein zu einem Warenwert von ca. 1,7 Mio. DM angeliefert und verkauft wurden (Fhdg Bl. 5). Da weder der Kläger noch die Beigeladene irgendwelche Einnahmen aus Branntweingeschäften beim Finanzamt deklariert hatten, wurde von 1996 bis 2000 – mit Unterbrechungen – eine Zoll- und Steuerfahndungsprüfung durchgeführt. In diesem Rahmen fanden auch Wohnungsdurchsuchungen bei dem Kläger und der B...