Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesskostenhilfe: Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr des beigeordneten Rechtsanwalts
Leitsatz (redaktionell)
- Auf die Vergütung eines im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts war jedenfalls nach der bis zur Einführung des § 15a RVG geltenden Rechtslage eine im Vorverfahren entstandene Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG anzurechnen.
- Bei Beauftragung vor dem 5. August 2009 ist die Vergütung nach der Übergangsbestimmung des § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG nach bisherigem Recht zu berechnen.
- § 15a RVG beinhaltet keine bloße Klarstellung der bisherigen Gesetzeslage (entgegen BGH-Beschluss vom 2. September 2009 II ZB 35/07, NJW 2009, 3101; Anschluss an BGH-Beschluss vom 29. September 2009 X ZB 1/09, NJW 2010, 76).
Normenkette
RVG §§ 15a, 60 Abs. 1
Tatbestand
Die Erinnerungsführer – Ef. – wenden sich gegen den Gerichtskostenansatz in dem Verfahren 15 K 4944/08 Kg, AO; nach übereinstimmender Hauptsacheerledigung sind die Kosten des Verfahrens mit Beschluss vom 21. Dezember 2009 gegeneinander aufgehoben worden.
Mit Beschluss vom 19. Januar 2011 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die aus der Staatskasse an die Ef. zu zahlende Vergütung gemäß §§ 45 RVG ff. auf 161,33 EUR fest. Die Vergütung berechnete sie durch Anrechnung der hälftigen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr. Hiergegen wenden sich die Ef. mit dem Einwand, keine Zahlungen erhalten zu haben.
Die Ef. beantragen,
unter Änderung des Beschlusses vom 19. Januar 2011 die Vergütung ohne Anrechnung einer Geschäftsgebühr festzusetzen.
Der Erinnerungsgegner beantragt,
die Erinnerung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Erinnerung ist unbegründet.
Der angefochtene Beschluss ist rechtmäßig; die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die Vergütung zutreffend unter Anrechnung der Geschäftsgebühr festgesetzt.
Nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG – VV RVG – wird, soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 bis 2303 entsteht, diese Gebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet.
Der Tatbestand dieser gesetzlichen Regelung ist hier erfüllt. Die Ef. waren bereits vorgerichtlich für die Klägerin tätig und hatten damit einen Anspruch auf die Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG erwirkt. Nach dem – insoweit eindeutigen und nicht auslegungsfähigen – Wortlaut der Bestimmung hat die Anrechnung bereits mit der (bloßen) Entstehung der Gebühr zu erfolgen. Ob der Anwalt die Geschäftsgebühr tatsächlich erhalten hat bzw. erhält, ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht maßgebend (Beschlüsse des Bundesgerichtshofs – BGH – vom 22. Januar 2008 VIII ZB 57/07, Neue Juristische Wochenschrift – JW – 2008, 1323; des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen – OVG NW – vom 10. Juni 2010 18 E 1722/09, juris; des Hessischen Landesarbeitsgerichts – LAG – vom 10. Mai 2010 13 Ta 177/10, juris; a. A. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 18. A., VV 3100 Rdn. 217).
Die Vorschrift gilt mangels einschränkender bzw. abweichender Bestimmung auch für Vergütungen, die – wie vorliegend – im Verfahren zur PKH aus der Staatskasse zu entrichten sind. Das Gesetz unterscheidet auch nicht danach, ob im nachfolgenden Verfahren PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist; die vorgeschriebene Anrechnung knüpft ausschließlich an die Entstehung der Geschäftsgebühr an. Dieser Entscheidung des Gesetzgebers ist ungeachtet des Umstands Rechnung zu tragen, dass der im späteren gerichtlichen Verfahren im Wege der PKH beigeordnete Rechtsanwalt den gegen seinen Mandanten gerichteten Anspruch in der Regel nicht mit Erfolg wird geltend machen können, weil der Mandant ausweislich der Bewilligung von PKH nicht leistungsfähig ist. Im Übrigen kann der Anwalt diesem Risiko begegnen, indem er seinen Vergütungsanspruch durch einen Vorschuss des Mandanten sicherstellt oder sich über die Vorschriften der Beratungshilfe absichert (vgl. Beschlüsse des Oberlandesgerichts – OLG – Düsseldorf vom 27. Januar 2009 I-10 W 120/08; des Finanzgerichts – FG – Düsseldorf vom 27. November 2009 10 Ko 862/09 KF; des Hessischen LAG vom 10. Mai 2010 13 Ta 177/10; a. A. Beschluss des OLG Stuttgart vom 15. Januar 2008 8 WF 5/08; sämtlich: juris).
Die Anrechnungsregelung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG ist auch im Rahmen der Kostenfestsetzung vorzunehmen. Die Gegenansicht, dass die Bestimmung nur im Verhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten Anwendung finde, hat im Gesetz weder nach dem Wortlaut noch nach der Systematik eine Stütze; eine – denkbare – andere Lösung hätte der Entscheidung des Gesetzgebers bedurft (Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts – BVerwG – vom 22. Juli 2009 9 KSt 4/08; des BGH vom 22. Januar 2008 VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323, und vom 29. September 2009 X ZB 1/09, NJW 2010, 76; a. A. Beschlüsse des BGH vom 9. Dezember 2009 XII ZB 175/07, NJW 2010, 1375; vom 29. April 2010 V ZB 38/1...