Entscheidungsstichwort (Thema)
Recht der Finanzbehörde auf digitalisierte Finanzbuchhaltungskonten ohne Vorprüfung der Steuerrelevanz zuzugreifen
Leitsatz (redaktionell)
- Die digitale Aufzeichnung von FiBu-Konten unterliegt ohne Prüfung der Steuerrelevanz im Einzelfall gemäß § 147 Abs. 6 Satz 1 AO dem Zugriffsrecht der Finanzverwaltung.
- Die handelsrechtliche Buchführung ist in ihrer Gesamtheit zur Feststellung oder Überprüfung der Besteuerungsgrundlagen geeignet und damit i. S. des § 140 AO für die Besteuerung von Bedeutung. Auf eine steuerliche Gewinnauswirkung kommt es dabei nicht an.
Normenkette
AO §§ 140, 145 Abs. 1, § 147 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 S. 1; HGB § 238 Abs. 1
Streitjahr(e)
2001, 2002, 2003
Nachgehend
Tatbestand
Die Antragstellerin (Astin) ist ein Aktiengesellschaft (AG) mit Sitz im Inland. Sie ist 100%-ige Tochter der AA-AG, an der wiederum die A-AG 100% der Anteile hält. Zwischen der Astin als Organgesellschaft und der AA-AG als Organträgerin besteht eine körperschaftsteuerliche und gewerbesteuerliche Organschaft.
Die Astin wickelte in den Jahren 2001 bis 2003 ihre handelsrechtliche Finanzbuchhaltung (FiBu) über das System R3 ab. Eine eigenständige steuerliche Buchführung bestand nicht. Abweichende Bilanzansätze wurden vielmehr gem. § 60 Abs. 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) in eine Steuerbilanz und eine steuerliche Gewinn- und Verlustrechnung (G+V) übergeleitet.
Mit Prüfungsanordnung vom 18. Juli 2005 ordnete der Antragsgegner (das Finanzamt --FA--) eine Betriebsprüfung (BP) für die Jahre 2001 bis 2003 bei der Astin an. Im Rahmen der BP verweigerte die Astin dem FA den Datenzugriff gem. § 147 Abs. 6 der Abgabenordnung (AO) auf folgende Konten der handelsrechtlichen FiBu:
1.) Bildung von Drohverlustrückstellungen aus schwebenden Geschäften
2.) Nichtabzugsfähige Betriebsausgaben
3.) Aufwendungen für handelsrechtliche Steuerumlagen im Rahmen der körper- und gewerbesteuerlichen Organschaft
Das FA forderte die Astin daraufhin mit Schreiben vom 31. März 2006 auf, den Datenzugriff auch hinsichtlich der gesperrten Konten, soweit sie den Prüfungszeitraum betrafen, zu ermöglichen. Da keine Pflicht bestehe, eine gesonderte Buchführung oder Bilanz für steuerliche Zwecke zu erstellen, sei die handelsrechtliche Buchführung Ausgangspunkt der steuerlichen Gewinnermittlung. Ohne die handelsrechtlichen FiBu-Konten sei die Buchführung auch dann nicht vollständig, wenn abweichende Steuerbilanzen erstellt würden. Diese seien lediglich aus der Handelsbilanz abgeleitet und entsprächen für sich allein nicht den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (GoB), weil eine Prüfung vom Bilanzansatz zum Beleg nur unter Heranziehung der handelsrechtlichen Konten möglich sei. Eine Prüfung im Wege eines direkten Lesezugriffs gem. § 147 Abs. 6 Satz 1 AO sei im vorliegenden Fall auch ermessensgerecht, da so ein zeitaufwendiges schriftliches Verfahren mit zahllosen Anfragen und Ausdrucken vermieden werden könne. Der Datenzugriff sei für die Astin auch mit geringem Aufwand verbunden, da sie lediglich die Zugriffsberechtigung verändern müsse.
Dagegen legte die Astin fristgemäß Einspruch ein und beantragte in der Folgezeit zudem die Aussetzung der Vollziehung (AdV). Zur Begründung berief sich die Astin darauf, dass keine Rechtsgrundlage für den angeordneten Datenzugriff bestehe. Zwar würden die betreffenden Konten als Teil der Buchführung zu den aufbewahrungspflichtigen Unterlagen gem. § 147 Abs. 1 Nr. 1 AO gehören. Das Datenzugriffsrecht des § 147 Abs. 6 AO erfahre aber durch die Prüfungsgrundsätze nach § 199 Abs. 1 AO eine inhaltliche Beschränkung auf Datenbestände, die für die Besteuerung von Bedeutung seien. Von steuerliche Relevanz könnten daher nur solche Daten sein, die auch in die Besteuerung eingehen würden. Aufbewahrungspflichtige Unterlagen, die für die Besteuerung keine unmittelbare Relevanz hätten, seien dagegen vom Datenzugriff nicht erfasst. Letzteres sei hier der Fall, da die streitigen Konten keinen Einfluss auf die Steuerpflicht und die Bemessung der Steuer hätten. Hinsichtlich der Drohverlustrückstellungen folge dies aus § 5 Abs. 4a des Einkommensteuergesetzes (EStG), da dieser als Ausnahme vom Maßgeblichkeitsprinzip die Bildung von Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften in der Steuerbilanz untersage. Die Bildung oder Auflösung derartiger Rückstellungen habe daher auch keine Auswirkung auf den steuerlichen Gewinn und demzufolge auch nicht auf die Bemessungsgrundlage der Astin. Denn ein handelsrechtlicher Aufwand sei für Zwecke der Überleitung auf die Steuerbilanz neutralisiert worden. Gleiches gelte für die nichtabziehbaren Betriebsausgaben im Sinne des § 4 Abs. 5 EStG. Diese hätten durch die außerbilanzielle Hinzurechnung ihre ursprüngliche Steuerrelevanz, die sie aufgrund der (handelsrechtlich) gewinnmindernden Wirkung hatten, eingebüßt. Nichts anderes gelte schließlich auch für die Steuerumlagen im Rahmen der Organschaft. ...