Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeit für die Festsetzung der Mehrwertsteuer: Entsprechende Anwendung des Artikels 87 Abs. 4 UZK – Einfuhr eines Pkw in das Zollgebiet der Union über Bulgarien – Fiktion der Entstehung einer Zollschuld weniger als 10 000 € im Mitgliedstaat der Feststellung
Leitsatz (redaktionell)
1. Der EuGH wird gemäß Art. 267 Unterabs. 2 AEUV um eine Vorabentscheidung zu folgender Frage ersucht:
Ist Art. 71 Abs. 1 Unterabs. 2 der MwStSystRL dahin auszulegen, dass die Vorschrift des Art. 87 Abs. 4 der UZK (Fiktion der Entstehung einer Zollschuld weniger als 10 000 € im Mitgliedstaat der Feststellung) auf die Entstehung der Mehrwertsteuer (Einfuhrumsatzsteuer) entsprechend anzuwenden ist?
2. Gilt aufgrund der in § 21 Abs. 2 UStG vorgesehenen entsprechenden Anwendung der Zollvorschriften für die Einfuhrumsatzsteuer auch die Mehrwertsteuer für die Einfuhr eines Pkw in das Zollgebiet der Union gem. Art. 87 Abs. 4 UZK als in Deutschland entstanden, obwohl die Einfuhr in das Zollgebiet der Union in Bulgarien erfolgte.
Normenkette
MwStSystRL Art. 2 Abs. 1 Buchst. d, Art. 30 Abs. 1, Art. 60, 61 Unterabs. 1, Art. 70, 71 Abs. 1 Unterabs. 2, Art. 156; UStG § 1 Nr. 4, § 21 Abs. 2; UZK Artikel 79 Abs. 1 Buchst. a; UZK Art. 87 Abs. 4
Nachgehend
Tatbestand
1. Der Kläger hat seinen Wohnsitz in Deutschland. Er verbrachte im Oktober 2017 seinen Pkw mit amtlichen türkischen Kennzeichen aus der Türkei über Bulgarien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland, ohne den Pkw zu einer Einfuhrzollstelle zu befördern und zu gestellen. Die Einfuhr des Pkw wurde im Rahmen einer Polizeikontrolle am 26.02.2018 in Deutschland festgestellt. Im März 2018 überführte er den Pkw wieder in die Türkei und verkaufte ihn dort.
2. Der Beklagte, das Hauptzollamt (HZA), setzte 1.589 € Einfuhrzoll und 3.321,01 € Einfuhrumsatzsteuer gegen den Kläger fest. Es vertrat die Auffassung, der Kläger habe den Pkw vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Europäischen Union eingeführt. Nach erfolglosem Einspruch erhob der Kläger Klage vor dem Finanzgericht.
3. Der Kläger ist der Auffassung, es liege keine abgabenpflichtige Einfuhr vor, weil er den Pkw für einen kurzen Zeitraum ausschließlich als Transportmittel für rein private Fahrten genutzt habe. Er habe den Pkw konkludent in das Zollverfahren der vorübergehenden Verwendung überführt.
4. Das HZA ist dagegen der Auffassung, die Einfuhrzollschuld sei gem. Artikel 79 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 09.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (UZK, ABl. L 269, 1) entstanden und es sei gem. Artikel 87 Absatz 4 UZK für die Festsetzung der Einfuhrabgaben zuständig gewesen. Gem. § 21 Absatz 2 des deutschen Umsatzsteuergesetzes (UStG) in der Fassung vom 21.02.2005 (Bundesgesetzblatt I 2005, 386) seien diese Vorschriften entsprechend auf die Entstehung der Einfuhrumsatzsteuer (Mehrwertsteuer) anzuwenden.
Entscheidungsgründe
5. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt - unbeschadet weiterer Rechtsfragen, die der Senat als nicht klärungsbedürftig ansieht - auch von der Rechtsfrage ab, ob die Regelung des Artikels 87 Absatz 4 UZK entsprechend auf die Einfuhrumsatzsteuer (Mehrwertsteuer) angewandt werden kann.
6. Der Kläger hat seine zollrechtlichen Verpflichtungen bei der Einfuhr des Pkw in das Zollgebiet der Union, namentlich die Verpflichtung zur Beförderung der Waren zur Zollstelle (Artikel 135 Absatz 1 UZK) und Gestellung (Artikel 139 Absatz 1 UZK), nicht erfüllt. Infolgedessen ist gem. Artikel 79 Absatz 1 Buchstabe a UZK eine Einfuhrzollschuld entstanden. Der Kläger ist gem. Artikel 79 Absatz 3 Buchstabe a UZK Zollschuldner.
7. Eine konkludente Anmeldung des Pkw zur vorübergehenden Verwendung durch Passieren der Zollstelle gem. Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe b der der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 der Kommission vom 28.07.2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Einzelheiten zur Präzisierung von Bestimmungen des Zollkodex der Union (UZK-DelVO, ABl. L 343, 1), aufgrund derer der Pkw gem. Artikel 218 Buchstabe a der Durchführungsverordnung (EU) 2015/2447 der Kommission vom 24.11.2015 mit Einzelheiten zur Umsetzung von Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Union (UZK-DVO, ABl. L 343, 558) als verbracht und gestellt gelten würde, ist nicht erfolgt. Denn gem. Artikel 219 UZK-DVO gilt die Erklärung (Zollanmeldung) als nicht abgegeben, wenn die verbrachte Ware nicht die Voraussetzungen der Artikel 138, 139 und 140 UZK-DelVO erfüllt. Gem. Artikel 139 Absatz 1 i.V.m. Artikel 136 Absatz 1 Buchstabe a UZK-DelVO können Zollanmeldungen zur vorübergehenden Verwendung (unter anderem) für Beförderungsmittel gem. Artikel 208-212 UZK-DelVO abgegeben werden. Gem. Artikel 250 Absatz 2 Buchstabe d UZK i.V.m. Artikel 212 Absatz 3 Buchstabe a UZK-DelVO wi...