Entscheidungsstichwort (Thema)
Produktionsabgaben im Zuckersektor – Gemeinschaftsrechtliches Rückwirkungsverbot
Leitsatz (redaktionell)
- Der Gerichtshof der Europäischen Union wird gemäß Art. 267 Unterabs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union um eine Vorabentscheidung zu folgender Frage ersucht: Ist die Verordnung (EG) Nr. 1193/2009 der Kommission vom 3. November 2009 zur Berichtigung der Verordnungen (EG) Nr. 1762/2003, (EG) Nr. 1775/2004, (EG) Nr. 1686/2005 und (EG) Nr. 164/2007 sowie zur Festsetzung der Produktionsabgaben im Zuckersektor für die Wirtschaftsjahre 2002/2003, 2003/2004, 2004/2005 und 2005/2006 (ABl EU Nr. L 321/1) gültig?
- Der Senat hat Zweifel, ob die Neuregelung der Abgabensätze durch die VO Nr. 1193/2009, die über die Vorgaben des Urteils des EuGH vom 8. Mai 2008 C-5/06 und C-23/06 bis C-36/06 (Slg. 2008, I-3231) hinausgeht und Geltung für bereits abgeschlossene Wirtschaftsjahre beansprucht, mit dem gemeinschaftsrechtlichen Rückwirkungsverbot zu vereinbaren ist und hinsichtlich der Berechnungsmethode (Ansatz fiktiver Erstattungsbeträge für Ausfuhren) mit dem Urteil des EuGH vom 8. Mai 2008 in Einklang steht.
Normenkette
VO (EG) 1193/2009 Art. 6; VO (EG) 1762/2003 Art. 1 Buchst. a, b; VO (EG) 1686/2005 Art. 1 Buchst. a, b, Art. 2; VO (EG) 164/2007 Art. 1 Buchst. a; VO (EG) 1260/2001 Art. 15 Abs. 1 Buchst. c, d; VO (EG) 318/2006 Art. 45; AEUV Art. 267 Unterabs. 2
Streitjahr(e)
2002, 2003, 2004, 2005, 2006
Tatbestand
I. Die Klägerin erzeugt Zucker. Sie wendet sich gegen die Festsetzung von Produktionsabgaben für die Wirtschaftsjahre 2002/03, 2004/05 und 2005/06.
Das beklagte Hauptzollamt setzte gegen die Klägerin mit Bescheid vom 21. Oktober 2003 Produktionsabgaben für das Wirtschaftsjahr 2002/03 fest. Dabei legte es der Festsetzung der Grundproduktionsabgabe von 1.695.214,56 EUR den Abgabensatz von 12,638 EUR je Tonne Weißzucker gemäß Art. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1762/2003 (VO Nr. 1762/2003) der Kommission vom 7. Oktober 2003 zur Festsetzung der Produktionsabgaben im Zuckersektor für das Wirtschaftsjahr 2002/03 (ABl EU Nr. L 254/4) und der Festsetzung der B-Abgabe von 3.838.510,68 EUR den Abgabensatz von 126,139 EUR je Tonne Weißzucker gemäß Art. 1 Buchst. b VO Nr. 1762/2003 zugrunde.
Die Produktionsabgaben für das Wirtschaftsjahr 2004/05 setzte das beklagte Hauptzollamt gegen die Klägerin mit Bescheid vom 26. Oktober 2005 fest. Dabei legte es der Festsetzung der Grundproduktionsabgabe von 1.825.075,06 EUR den Abgabensatz von 12,638 EUR je Tonne Weißzucker gemäß Art. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1686/2005 (VO Nr. 1686/2005) der Kommission vom 14. Oktober 2005 zur Festsetzung der Produktionsabgaben sowie des Koeffizienten der Ergänzungsabgabe im Zuckersektor für das Wirtschaftsjahr 2004/05 (ABl EU Nr. L 271/12), der Festsetzung der B-Abgabe von 7.763.358,11 EUR den Abgabensatz von 236,963 EUR je Tonne Weißzucker gemäß Art. 1 Buchst. b VO Nr. 1686/2005 und der Festsetzung der Ergänzungsabgabe von 1.527.916,83 EUR den Koeffizienten von 0,15935 gemäß Art. 2 VO Nr. 1686/2005 zugrunde.
Die Produktionsabgabe für das Wirtschaftsjahr 2005/06 setzte das beklagte Hauptzollamt gegen die Klägerin mit Bescheid vom 21. Februar 2007 fest. Dabei legte es der Festsetzung der Grundproduktionsabgabe für A- und B-Zucker von 783.641,62 EUR den Abgabensatz von 6,333 EUR je Tonne Weißzucker gemäß Art. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 164/2007 (VO Nr. 164/2007) der Kommission vom 19. Februar 2007 zur Festsetzung der Produktionsabgaben im Zuckersektor für das Wirtschaftsjahr 2005/06 (ABl EU Nr. L 51/17) zugrunde.
Die Klägerin legte gegen den Bescheid vom 26. Oktober 2005 Einspruch ein und beantragte die Änderung der Bescheide vom 21. Oktober 2003 sowie vom 21. Februar 2007. Sie machte geltend: Die Verordnungen Nr. 1762/2003, Nr. 1686/2005 und Nr. 164/2007 seien ungültig, weil die Kommission die Abgabensätze fehlerhaft ermittelt habe.
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) entschied mit Urteil vom 8. Mai 2008 in den verbundenen Rechtssachen C-5/06 und C-23/06 bis C-36/06 (Slg. 2008, I-3231), dass nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 1260/2001 (VO Nr. 1260/2001) des Rates vom 19. Juni 2001 über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker (ABl EG Nr. L 178/1) bei der Berechnung des ausführbaren Überschusses alle unter diesen Artikel fallenden ausgeführten Erzeugnismengen, gleich ob Erstattungen tatsächlich gewährt worden seien oder nicht, vom Verbrauch abzuziehen seien. Ferner sei Art. 15 Abs. 1 Buchst. d VO Nr. 1260/2001 dahin auszulegen, dass bei der Ermittlung des ausführbaren Überschusses und des voraussichtlichen durchschnittlichen Verlusts je Tonne Erzeugnis alle unter diesen Artikel fallenden ausgeführten Erzeugnismengen zu berücksichtigen seien, gleich ob Erstattungen tatsächlich gewährt worden seien oder nicht. Des weiteren sei die VO Nr. 1762/2003 ungültig.
Mit Beschluss vom 6. Oktober 2008 entschied der EuGH in den verbundenen Rechtssach...