Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeld: Praktikum in einem Tattoo-Studio als Berufsausbildung – Wartezeit auf Studienplatz – Bewusste Unterlassung einer früheren Bewerbung – Bestimmtheit eines mehrere Kinder und Zeiträume betreffenden Kindergeld-Rückforderungsbescheides
Leitsatz (redaktionell)
- Bei einem ernsthaft und mit hinreichendem Zeitaufwand (15 Stunden pro Woche) betriebenen Praktikum in einem Tattoo-Studio zum Erwerb der Kenntnisse und Fähigkeiten erworben, die für den Beruf „Tätowierer” benötigt werden, handelt es sich hierbei auch um eine die Berücksichtigungsvoraussetzungen für den Anspruch auf Kindergeld erfüllende Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG.
- Die Berücksichtigungsvoraussetzung der fehlenden Möglichkeit des Beginns oder der Fortsetzung einer Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2c EStG) wird durch eine dem Praktikum nachfolgende erneute Bewerbung auf einen Studienplatz nicht erfüllt, wenn das Kind es zuvor bewusst unterlassen hat, sich schon zu einem früheren Termin auf den von ihm begehrten Studienplatz oder für vergleichbare Studiengänge zu bewerben.
- Ein mehrere Steuerfälle betreffender Kindergeld-Rückforderungsbescheid ist mangels hinreichender Bestimmtheit nach § 124 Abs. 3, § 125 Abs.1 AO unwirksam, wenn er keine – ggf. durch Bezugnahme auf andere dem Adressaten vorliegende Unterlagen erfolgte - Aufgliederung nach Kindern und Zeiträumen enthält und nicht ausnahmsweise eindeutig feststeht, welche Steuerfälle von dem Bescheid erfasst werden.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nrn. 2a, 2c, § 70 Abs. 2; AO § 37 Abs. 2, § 119 Abs. 1, § 124 Abs. 3, § 125 Abs. 1
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Aufhebungs- und Rückforderungsbescheids.
Die Klägerin ist die Mutter des am 20.04.1992 geborenen Kindes A (auch A1 genannt). Sie erhält zudem für drei weitere Kinder Kindergeld.
A beendete am 02.09.2013 seine Schulausbildung am Berufskolleg. Bis zum 13.12.2013 absolvierte er ein Praktikum zwecks Erlangung der Fachhochschulreife. Im Dezember 2013 zog er nach B, wo er im Januar 2014 bei der Hochschule für…die Zulassung zur Aufnahmeprüfung für den zum nächsten Wintersemester beginnenden Studiengang Buchkunst/Grafik-Design beantragte. Der Antrag wurde mit Schreiben vom 27.02.2014 abgelehnt.
Nachdem die Klägerin eine Antragsbestätigung der Hochschule B aus Januar 2014 vorgelegt hatte, setzte die Beklagte mit Bescheid vom 18.06.2014 ab Januar 2014 Kindergeld i.H.v. 184 € monatlich für A fest. Dass der Zulassungsantrag längst abgelehnt worden war, hatte die Klägerin bis dahin nicht mitgeteilt. Dies teilte sie der Beklagten vielmehr erst in 2015 mit.
Auf neue Aufforderung der Beklagten, Nachweise über eigene Bemühungen von A um eine Ausbildung einzureichen, legte die Klägerin einen Praktikumsvertrag vor, wonach A bei der Fa. C Tattoos in B vom 01.09.2015 bis 01.09.2016 ein Praktikum mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Zeitstunden absolvieren sollte. Mitgeteilt wurde zudem, dass A weiterhin einen Studienplatz suche. Später wurde kommentarlos die Kopie einer weiteren Antragsbestätigung der Hochschule für…B betreffend die Teilnahme an der Aufnahmeprüfung für das 1. Fachsemester eingereicht, bei der lediglich aus der Bewerbernummer 0169/2016 gefolgert werden kann, dass sie sich auf das Jahr 2016 bezieht. Weitere Unterlagen wurden nicht vorgelegt.
Mit Bescheid vom 12.01.2016 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung für A ab dem Monat März 2014 unter Verweis auf § 70 Abs. 2 EStG auf und forderte für den Zeitraum März 2014 bis Oktober 2015 Kindergeld i.H.v. 4.340 € von der Klägerin zurück. Der Betrag von 4.140 € setzt sich zusammen aus 10 x 215 € für März bis Dezember 2014 und 10 x 219 € für Januar bis Oktober 2015.
Die Klägerin legte hiergegen Einspruch ein und reichte eine weitere Bescheinigung der Hochschule für…B vom 04.02.2016 ein, aus der hervorgeht, dass der Antrag auf Zulassung zur Aufnahmeprüfung am 05.01.2016 gestellt wurde. Der Beklagte nahm dies zum Anlass, mit Bescheid vom 24.02.2016 für A ab Januar 2016 Kindergeld i.H.v. 221 € monatlich festzusetzen.
Mit Schreiben vom 24.02.2016 wurde die Klägerin unter Fristsetzung bis zum 23.03.2016 u.a. gebeten, Nachweise über die Bemühungen um einen Studienplatz für das Jahr 2015 einzureichen.
Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 06.04.2016 als unbegründet zurückgewiesen. Eine schriftliche Reaktion der Klägerin zu dem Schreiben vom 24.02.2016 war bis zu diesem Zeitpunkt nicht erfolgt.
Nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung behauptete die Klägerin, die Nachfragen vom 24.02.2016 telefonisch beantwortet zu haben. Zugleich wurden die Antragsbestätigungen der Hochschule für…B für die Jahre 2014 und 2016 erneut eingereicht. Eine Bescheinigung für das Jahr 2015 wurde nicht vorgelegt. Jedoch wurde ein weiterer Praktikumsvertrag eingereicht, wonach A bereits vom 15.04.2014 bis 15.08.2015 ein Praktikum mit 15 Wochenstunden bei der Fa. C Tattoos absolviert hat. Ausweislich einer Prakt...