vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Entscheidungsstichwort (Thema)
Stromsteuerentlastung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG: Stromerzeugung aus dezentralen Photovoltaikanlagen – Funktionsbezogener Anlagenbegriff Addition der Nennleistung an unterschiedlichen Standorten – Unionsrechtlicher Grundsatz der Gleichbehandlung
Leitsatz (redaktionell)
- Die Stromsteuerentlastung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG ist in Anwendung des funktionsbezogenen Anlagenbegriffs auch für die Stromerzeugung aus Photovoltaikanlagen an unterschiedlichen Standorten zu gewähren, wenn deren zentrale Steuerung durch einen Betreiber, die einheitliche messtechnische Erfassung des erzeugten Stroms sowie die ganz überwiegende Versorgung eines bestimmten Abnehmerkreises die Zusammenrechnung der Stromerzeugungseinheiten zu einer Anlage mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei MW gebieten.
- Der Begriff der Anlage in § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG und in § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG ist unter Berücksichtigung des unionsrechtlichen Grundsatzes der Gleichbehandlung einheitlich dahin auszulegen, dass bei in einem solchen Funktionszusammenhang stehenden Stromerzeugungseinheiten an unterschiedlichen Standorten die Summe der elektrischen Nennleistungen der einzelnen Einheiten als elektrische Nennleistung einer Anlage gilt.
Normenkette
StromStG § 9 Abs. 1 Nrn. 1, 3 Buchst. a; StromStV § 12b Abs. 2-3, § 12c Abs. 1; RL (EG) 2003/96 Art. 15 Abs. 1 Buchst. b; GG Art. 3 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin betrieb an unterschiedlichen Standorten in einer Entfernung von mehreren Kilometern in A, B, C, D, E, F, G, H, I, J, K, L, M, N, O, P, Q, R, S, T, U und V ...Einzelhandelsgeschäfte (Bl. 213 ff. der Gerichtsakte). An diesen Standorten erzeugte sie unter Einsatz von Photovoltaikanlagen Strom. Sie betrieb an den Standorten im Kalenderjahr 2020…und im Kalenderjahr 2021…Photovoltaikanlagen. Die elektrische Nennleistung der Anlagen betrug zwischen 119,6 Kilowatt (KW) und 203,13 KW.
Die Klägerin entnahm den mit den Photovoltaikanlagen erzeugten Strom an dem jeweiligen Standort der Anlage zum Selbstverbrauch. Einen Teil des Stroms leistete sie an einen Letztverbraucher zum Betrieb von im räumlichen Zusammenhang zu den Anlagen vorhandenen Paketstationen. Überschüssige Strommengen speiste die Klägerin in das allgemeine Versorgungsnetz ein. Im Kalenderjahr 2020 wurde der von…Photovoltaikanlagen, im Kalenderjahr 2021 wurde der von…Photovoltaikanlagen erzeugte und nicht zum Selbstverbrauch entnommene überschüssige Strom durch die W AG direkt vermarktet. Die W AG konnte die Photovoltaikanlagen zum Zweck der Vermarktung dieses Stroms zentral steuern.
Die Klägerin gab am 31. Dezember 2021 für das Kalenderjahr 2020 beim beklagten Hauptzollamt eine Steueranmeldung ab, in der sie eine Menge von…Megawattstunden (MWh) Strom angab, den sie mit den Photovoltaikanlagen erzeugt und zum Selbstverbrauch entnommen hatte. In ihrer für das Kalenderjahr 2021 im Mai 2022 beim beklagten Hauptzollamt abgegebenen Steueranmeldung gab sie eine Menge von…MWh Strom an, den sie mit den Photovoltaikanlagen erzeugt und zum Selbstverbrauch entnommen hatte. Gleichzeitig mit ihren Steueranmeldungen für die Kalenderjahre 2020 und 2021 reichte sie beim beklagten Hauptzollamt Anträge ein, mit denen sie hinsichtlich der vorgenannten zum Selbstverbrauch entnommenen Mengen Strom die Gewährung einer Steuerentlastung nach § 12c Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des Stromsteuergesetzes (StromStV) i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 Buchst. a des Stromsteuergesetzes (StromStG) begehrte. Am 21. Januar 2022 gab sie beim beklagten Hauptzollamt hinsichtlich des Kalenderjahres 2020 einen korrigierten Antrag für eine Menge von…MWh Strom ab.
Das beklagte Hauptzollamt lehnte die Gewährung der Steuerentlastungen für die Kalenderjahre 2020 und 2021 mit Bescheiden vom 23. September 2022 ab. Zur Begründung führte es aus: Die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG lägen nicht vor. Die Photovoltaikanlagen gälten nach § 12b Abs. 2 StromStV zwar auf Grund ihrer Fernsteuerbarkeit als eine Anlage mit einer elektrischen Nennleistung von mehr als zwei MW. Die Nennleistung der Anlagen an den einzelnen Standorten betrage jedoch weniger als 2 MW.
Die hiergegen von der Klägerin eingelegten Einsprüche wies das beklagte Hauptzollamt mit Entscheidung vom 2. Mai 2023 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus: Die Klägerin habe nach § 12c Abs. 1 StromStV keinen Anspruch auf die Steuerentlastungen, weil die Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG nicht vorlägen. Der Verordnungsgeber habe keine von dieser Gesetzesbestimmung abweichenden Anspruchsvoraussetzungen regeln dürfen. Die fraglichen Photovoltaikanlagen hätten am Ort der Erzeugung des Stroms nicht eine elektrische Nennleistung von mehr als zwei MW gehabt.
Mit ihrer Klage trägt die Klägerin vor: § 12c Abs. 1 StromStV erfordere lediglich eine Entnahme des Stroms zu den in § 9 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 3 Buchst. a StromStG genannten Zweck...