Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Zahlung von Kindergeld bei Unterschreitung des für das Kalenderjahr maßgeblichen Jahresgrenzbetrages
Leitsatz (redaktionell)
- Die Änderung der Normauslegung in Bezug auf die Berücksichtigung der Arbeitnehmer-Sozialversicherungsbeiträge im Rahmen der Grenzbetragsberechnung durch die Entscheidung des BVerfG führt nicht zur Durchbrechung der Bestandskraft eines Aufhebungsbescheids.
- Der Charakter eines solchen Aufhebungsbescheids als Prognoseentscheidung hinsichtlich der Grenzbetragsberechnung und die hiervon abhängige Korrekturmöglichkeit nach § 70 Abs. 4 EStG bezieht sich nur auf die maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse und nicht auf eine mögliche spätere Änderung der rechtlichen Beurteilung.
- Die Bindungswirkung eines durch Einspruchsentscheidung bestätigten Aufhebungsbescheides reicht bis zum Ablauf des Monats, in dem die Einspruchsentscheidung bekannt gegeben worden ist.
- Aus der Tatsache, dass der Aufhebungsbescheid trotz des beim BVerfG anhängigen Verfahrens nicht mit einem Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO versehen wurde, ergibt sich kein Vertrauenstatbestand, der die Berufung auf die eingetretene Bestandskraft treuwidrig erscheinen ließe.
- Eine Verpflichtung, den Bürger unaufgefordert auf die materielle Rechtslage hinzuweisen, kann aus § 89 AO nicht abgeleitet werden.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 2, § 70 Abs. 2, 4; AO §§ 89, 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3, § 367 Abs. 2; FGO § 44 Abs. 2; BVerfGG § 79 Abs. 2 S. 1
Streitjahr(e)
2004
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob dem Kläger für seinen Sohn Andreas (geboren am 09.02.1985) für den Zeitraum Januar bis September 2004 Kindergeld zu gewähren ist. Der Sohn absolvierte im Jahr 2004 eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann.
Der Kläger stellte im März 2004 einen Antrag auf Weiterzahlung von Kindergeld unter Vorlage einer Erklärung zu den Einkünften und Bezügen und einer Ausbildungsbescheinigung vom 30.01.2003. Daraus ergaben sich für das Jahr 2004 voraussichtliche Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 10.100 Euro (7 x 800 Euro und 5 x 900 Euro) und Urlaubs- und Weihnachtsgeldzahlungen für 2002 von 193,40 Euro bzw. 154,00 Euro. Als zu berücksichtigende Werbungskosten gab der Kläger Fahrtkosten zur Arbeitsstätte von monatlich 53 Euro sowie Mehraufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung an.
Der Beklagte hob im Bescheid vom 22.06.2004 die Kindergeldfestsetzung rückwirkend ab Januar 2004 nach § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf. Zur Begründung führte er aus: Nach § 70 Abs. 2 EStG sei die Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt werde, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 EStG über- oder unterschreiten. Die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen seien nicht erfüllt, weil das Kind Andreas Einkünfte und Bezüge von mehr als 7.680 Euro im Kalenderjahr 2004 habe. Die sogenannte unechte doppelte Haushaltsführung sei durch die gesetzliche Neuregelung ab 01.01.2004 abgeschafft worden. Zugleich forderte der Beklagte unter Berücksichtigung der Verringerung der Kindergeldhöhe für vier weitere Kinder gezahltes Kindergeld in Höhe von 1.253 Euro für die Zeit vom 01.01.2004 bis 31.07.2004 Euro zurück.
Gegen den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid legte der Kläger unter dem 13.08.2004 Einspruch ein und teilte zugleich mit, dass er den Bescheid erst am 03.08.2004 erhalten habe, nachdem er nach dem Erhalt seiner Gehaltsmitteilung für den Monat Juli 2004 sofort bei seiner Dienststelle angerufen und nachgefragt habe, warum ihm Gehalt abgezogen worden sei, obwohl er keinen Bescheid erhalten habe. Daraufhin sei ihm der Kindergeldbescheid erneut unter dem 03.08.2004 übersandt worden.
Er habe das Kindergeld guten Glaubens für die monatlich anfallenden Haushaltsausgaben ausgegeben. Er sei sich keiner Schuld bewusst, irgendetwas falsch gemacht zu haben und bitte deshalb um Überprüfung, ob er trotzdem die Zuvielzahlung zurückzahlen müsse.
Der Beklagte wies den Einspruch in der Einspruchsentscheidung vom 21.09.2004 unter Wiederholung der Begründung des vorangegangenen Bescheides als unbegründet zurück. Ergänzend führte er aus, dass es sich bei der ursprünglichen Kindergeldgewährung um keine endgültige Festsetzung gehandelt habe. Dem Kläger habe bewusst sein müssen, dass – wie jedes Jahr – die Kindergeldfestsetzung erst abschließend geprüft werden könne, sobald Unterlagen über die tatsächlichen Einkünfte des Kindes vorlägen und feststehe, dass der jährliche Grenzbetrag in jedem Fall unterschritten werde. Im Fall des Klägers sei ganz offensichtlich, dass der Sohn den Grenzbetrag von 7.680 Euro ohne Anerkennung der Werbungskosten für die doppelte Haushaltsführung überschreiten werde. Um eine höhere Rückzahlung zu vermeiden sei der Festsetzungsbescheid schon jetzt aufgehoben worden. Da ausschließlich die Überschreitung...