Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch bei mehraktigen Ausbildungsmaßnahmen
Leitsatz (redaktionell)
- Bei der von vorneherein angestrebten Weiterbildung einer Industriekauffrau zur Betriebswirtin (B.A.) im Rahmen eines bereits vor der kaufmännischen Prüfung begonnenen berufsbegleitenden Studiums handelt es sich noch um einen Teil einer einheitlichen mehraktigen Erstausbildung, während der Kindergeldanspruch nicht durch die nach dem ersten berufsqualifizierenden Abschluss ausgeübte Vollzeiterwerbstätigkeit ausgeschlossen wird.
- Der notwendige enge Zusammenhang liegt auch dann vor, wenn die für die Aufnahme des Bachelorstudiums vorausgesetzte Berufstätigkeit in der teilweise während des Studiums absolvierten kaufmännischen Ausbildung besteht.
- Ungeachtet der nachfolgend aufgenommenen Vollzeiterwerbstätigkeit als Industriekauffrau tritt in diesem Fall keine schädliche Zäsur zwischen zwei Ausbildungsabschnitten ein.
Normenkette
EstG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 Buchst. a; EStG § 32 Abs. 4 Sätze 2-3
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger bezog fortlaufend u.a. für seine Tochter A (geb. 1997) Kindergeld. Nach dem Erwerb der allgemeinen Hochschulreife befand sich die Tochter vom 1.9.2015 in einer Ausbildung zur Industriekauffrau. Nach erfolgreicher Prüfung am 30.1.2018 wurde sie ab dem 31.1.2018 in ein Angestelltenverhältnis bei ihrem Ausbildungsbetrieb übernommen.
Mit Bescheid vom 26.1.2018 hob die Familienkasse die Festsetzung des Kindergeldes auf und führte zur Begründung an, die Tochter habe die Berufsausbildung beendet und befände sich nicht mehr in einer Ausbildung.
Hiergegen erhob der Kläger unter dem 22.2.2018 Einspruch und trug vor, seine Tochter absolviere ab 1.3.2017 in Teilzeit den Studiengang „Business Administration” mit dem erstrebten Abschluss „Bachelor of Arts (B.A.)” an der FOM in B. Sie befände sich noch in einer Berufsausbildung. Bei der Ausbildung zur Industriekauffrau und dem nachfolgenden Studium handele sich um eine einheitliche Erstausbildung. Ausbildung und Studium seien inhaltlich und zeitlich aufeinander abgestimmt. Das angestrebte Berufsziel erreiche seine Tochter erst mit dem erfolgreichen Abschluss des Studiums. Der Kläger legte eine Bescheinigung vor, wonach es sich um ein berufsbegleitendes Studium handelt, dessen Vorlesungen in den Abendstunden und an den Wochenenden stattfindet und das voraussichtlich am 31.8.2020 beendet ist. Voraussetzung für die Zulassung zum Studium ist die allgemeine Hochschulreife und eine aktuelle Berufstätigkeit in Voll- oder Teilzeit. Das Studium dauert 7 Semester.
Mit Einspruchsentscheidung vom 8.5.2018 wies die Familienkasse den Einspruch als unbegründet zurück. Sie führte aus, nach der abgeschlossenen Berufsausbildung zur Industriekauffrau übe die Tochter eine Erwerbstätigkeit von mehr als 20 Stunden wöchentlich aus. Sie habe diese Tätigkeit nicht zur Überbrückung zwischen zwei Ausbildungsabschnitten aufgenommen. Wenn eine Ausbildungsordnung vorsehe, dass ein Kind berufspraktische Erfahrungen in einem erlernten Beruf sammeln und vorweisen müsse, dann übe das Kind bereits eine berufliche Tätigkeit aus und befände sich gerade nicht in einer Ausbildungsphase. Die Berufsausübung stelle eine Zäsur zwischen den beiden Ausbildungen dar. Entscheidend sei nach der Rechtsprechung, dass die berufspraktische Erfahrung im bereits erlernten Ausbildungsberuf notwendige Voraussetzung für das Erreichen des weiteren Berufsabschlusses sei. Vorliegend sei eine aktuelle Berufstätigkeit Zulassungsvoraussetzung für die Aufnahme des Studiums gewesen. Daher bedeute diese Tätigkeit eine Zäsur zwischen den Ausbildungen, so dass das Studium eine Zweitausbildung darstelle.
Der Kläger hat am 1.6.2018 Klage erhoben, zu deren Begründung er sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft.
Er beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 26.01.2018 und der Einspruchsentscheidung vom 08.05.2018, die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld für A für den Zeitraum Februar bis Mai 2018 zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise: Revisionszulassung.
und bezieht sich auf die Gründe der Einspruchsentscheidung.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung am 7.11.2018 die Tochter als Zeugin vernommen; wegen des Ergebnisses der Beweiserhebung wird auf den Inhalt des Protokolls Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten und der von der Beklagten vorgelegten Kindergeldakten.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Die Beklagte war zu verpflichten, Kindergeld für die Tochter wie aus dem Tenor ersichtlich zu bewilligen (§ 101 Finanzgerichtsordnung – FGO). Dem Kläger stand für den streitigen Zeitraum Kindergeld zu.
Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG besteht Anspruch auf Kindergeld u.a. für Kinder, die das 18., aber noch nicht das 25. Leb...