Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendung deutscher Rechtsvorschriften im Einzelfall bei der Heranziehung von Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates (EU-VO)

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Die Frage der Anwendbarkeit deutschen Kindergeldrechts für im Inland tätige EU-Bürger richtet sich allein nach § 62 EStG.
  2. Die Regelung über die Anspruchskonkurrenz zwischen kindbezogenen innerstaatlichen Leistungen und vergleichbaren ausländischen Leistungen des § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG wird im Falle eines im Inland selbständig tätigen und dort – wegen des Betriebs eines zulassungsfreien Handwerks – nicht rentenversicherungspflichtigen polnischen Staatsbürgers, dessen Kinder im Herkunftsland leben, nicht durch die VO Nr. 1408/71 EG verdrängt.
  3. Für die in Art. 14c VO Nr. 1408/71 EG enthaltene Zuordnung zum Rechtssystem eines Staates wäre im Übrigen die Mitgliedschaft in der polnischen Sozialversicherung für Landwirte unschädlich.
  4. Der Kindergeldanspruch kann aber durch einen Anspruch auf dem Kindergeld vergleichbare Familienleistungen in Polen ausgeschlossen sein.
 

Normenkette

EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 63 Abs. 1 S. 3, § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; AufenthG § 1 Abs. 2 Nr. 1; FreizügigkeitsG/EU § 2 Abs. 2 Nr. 2; VO Nr. 1408/71 EG Art. 1 Buchst. a; VO Nr. 1408/71 EG Art. 13 Abs. 1 S. 1; VO Nr. 1408/71 EG Art. 14c; VO Nr. 1408/71 EG Art. 73; Anhang I Teil I Buchst. D Unterabsatz b; HwO § 1 Abs. 2 S. 1; SGB VI § 2 S. 1 Nr. 8

 

Streitjahr(e)

2004, 2005, 2006

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 04.08.2011; Aktenzeichen III R 66/08)

BFH (Urteil vom 04.08.2011; Aktenzeichen III R 66/08)

BFH (Beschluss vom 28.07.2011; Aktenzeichen III R 45/11)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Kindergeld für seine in Polen lebenden Kinder.

Er selbst hält sich seit Juni 2004 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Dabei wohnte er zunächst in „A” und hatte dort auch ein gewerbliches Unternehmen angemeldet.

In der Folgezeit verzog er nach „B” und meldete dort die neue Betriebsstätte des gewerblichen Unternehmens an. Nach telefonischer Mitteilung der Handwerkskammer war der Kläger in der Zeit vom 14.9.2004 bis 4.1.2006 im Verzeichnis der Gewerbe, die als zulassungsfreie Handwerke betrieben werden können (Anlage B zur Handwerksordnung – HwO –), eingetragen – Betriebs-Nr.: –). Die Löschung war erfolgt, weil der Kläger das Gewerbe zum 29.11.2005 abgemeldet hatte.

In Polen lebt die geschiedene Ehefrau des Klägers. Ursprünglich wohnten im gleichen Haushalt auch die aus der Ehe hervorgegangenen Kinder „C” (geb. am 30.1.1980) und „D” (geb. am 15.7.1985). Der Sohn „C” hatte im September 2000 ein Universitätsstudium begonnen, das er im Oktober 2005 abschloss. Die Tochter „D” besuchte zunächst noch eine Schule. Nach dem Inhalt der vom Gericht beigezogenen Kindergeldakten hatten beide Kinder im Kalenderjahr 2004 keine eigenen Einkünfte. Für den Sohn ist in den Akten darüber hinaus eine Bestätigung enthalten, dass auch im Kalenderjahr 2005 keine Einkünfte vorhanden gewesen seien.

Vor diesem Hintergrund hatte der Kläger im Oktober 2005 bei der Beklagten einen Antrag auf Bewilligung von Kindergeld gestellt und nachfolgend auch die Bestätigung des Arbeitgebers seiner geschiedenen Ehefrau beigebracht (Bl. 7, 8 der Kindergeldakte), nach deren Inhalt in Polen kein Anspruch auf Familienleistungen bestanden habe, weil die Kinder bereits „erwachsen/18 Jahre alt” seien. Die Beklagte forderte den Kläger auf, neben anderen Unterlagen auch die Bescheinigung einer polnischen Dienststelle betreffend die Zugehörigkeit zur polnischen Sozialversicherung beizubringen (Schreiben vom 13.2.2006). Daraufhin gelangten folgenden Unterlagen zu den Kindergeldakten:

1. eine Bescheinigung vom 10.3.2006, nach deren Inhalt der Kläger seit dem „9.9.2003 bis auf weiteres” der Sozialversicherung für Landwirte unterliege (Bl. 74, 84, 85 der Kindergeldakte)

2. Bestätigung vom 14.3.2006, nach deren Inhalt zumindest zeitweise Familienleistungen ausgezahlt worden seien (Bl. 78, 79 der Kindergeldakte)

Wegen des Inhalts der genannten Unterlagen im Einzelnen wird auf die Kindergeldakten Bezug genommen.

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers ab (Bescheid vom 5.4.2006), und zwar unter Hinweis auf die bescheinigte Mitgliedschaft in der Sozialversicherung in Polen. Dessen Einspruch wies sie unter dem 29.5.2006 als unbegründet zurück. Dazu führte sie aus, dass der Kläger zwar im Inland einer gewerblichen Tätigkeit nachgehe, dass aber nach der Regelung des Art. 14c der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (EU-VO Nr. 1408/71), allenfalls ein Anspruch auf Kindergeld in Polen bestehe.

Im Klageverfahren hat der Kläger zunächst vorgetragen:

Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig, denn nach den Regelungen des deutschen Einkommensteuergesetzes (EStG) habe er einen Anspruch auf Bewilligung von Kindergeld.

Ursprünglich er sei in Polen nichtselbständig tätig gewese...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Haufe Finance Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge