Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Fristversäumnis bei erfolgloser Übermittlung per Telefax – Belegung des Empfangsgeräts – Verschulden bei vorschneller Beendigung der Übermittlungsversuche – Erhöhte Sorgfaltspflicht bei Ausschöpfung der Frist

 

Leitsatz (redaktionell)

  1. Das Fehlschlagen des Versuchs der Übersendung einer Klageschrift an das Gericht aufgrund der Belegung des Empfangsgeräts ist kein Wiedereinsetzungsgrund in Bezug auf die versäumte Klagefrist, wenn der Kläger in der Annahme, dass eine technische Störung des Empfangsgeräts vorliege, seine Übermittlungsversuche vorschnell aufgibt.
  2. Die erhöhte Sorgfaltspflicht bei Übersendung eines Schriftsatzes am letzten Tag der Frist gebietet die Berücksichtigung der Möglichkeit der erhöhten Beanspruchung des Faxanschlusses während der üblichen Bürozeiten und die Fortsetzung der Übermittlungsversuche außerhalb dieses Zeitrahmens.
 

Normenkette

FGO § 47 Abs. 1, § 56 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Beschluss vom 22.05.2019; Aktenzeichen X B 109/18)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Einhaltung der Klagefrist und im Übrigen über erfolgte Hinzuschätzungen nach einer Umsatzsteuersonderprüfung und die Umsatzsteuerpflicht bei gewerblicher Zimmervermietung.

Der Kläger erzielte im Jahr 2015 Einkünfte aus Gewerbebetrieb aus gewerblicher Zimmervermietung, die er durch Einnahmen-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes -EStG- ermittelte. Im Jahr 2016 führte der Beklagte eine Umsatzsteuersonderprüfung (Prüfer Herr A ) für das Jahr 2015 durch.

Auf Grundlage des Prüfungsberichts vom 4.11.2016 und der im Nachgang der Prüfung eingereichten Steuererklärung und Gewinnermittlung erließ der Beklagte mit Datum vom 5.12.2016 einen Vorauszahlungsbescheid ab 2015 über den Gewerbesteuermessbetrag sowie mit Datum vom 25.1.2017 einen Umsatzsteuerbescheid und einen Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen (nachfolgend Feststellungsbescheid) für das Jahr 2015. Dabei ging der Beklagte davon aus, dass der Kläger bislang nicht der Besteuerung unterworfene Einnahmequellen besitze. Zum einen sei der Geldverkehr, da keine Kassen- und Bankaufzeichnungen existierten, nicht überprüfbar gewesen. Zum anderen habe es ungeklärte Geldzuflüsse, u.a. aus dem Erwerb einer Immobilie, gegeben, so dass Hinzuschätzungen zu erfolgen hätten. Zudem sei die Vermietung der Zimmer umsatzsteuerpflichtig, da bei der Vermietung in einem Bordell von - gegenüber einer Vermietung - andersartigen Leistung auszugehen sei.

Gegen diese Bescheide legte der Kläger Einsprüche ein. Zur Begründung führte er insbesondere aus, dass die Gelder aus einer Erbschaft vom Vater, aus Verkäufen privater Gegenstände, aus Einkünften aus Rumänien und Geldern seiner Mutter, Schwester und Lebensgefährtin stammten. In umsatzsteuerlicher Hinsicht lägen steuerfreie Vermietungsleistungen vor, da das Überlassen von Zimmern in einem Stundenhotel keine Beherbergung i.S.d. § 4 Nr. 12 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes -UStG- darstelle.

Nachdem der Beklagte mit Datum vom 20.3.2017 einen Jahresbescheid über den Gewerbesteuermessbetrag 2015, der den erhöhten Gewinn auf Grundlage der Ergebnisse der Umsatzsteuersonderprüfung enthielt, erlassen hatte, ergingen am 6.7.2017 (Umsatzsteuer- und Feststellungsbescheid) und am 7.8.2017 (Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag) nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung -AO- geänderte Bescheide, in denen der Beklagte die private Pkw-Nutzung des Klägers berücksichtigte. Die Einsprüche wies der Beklagte unter geringfügiger Minderung des Gewinns, des Gewerbesteuermessbetrags und der Umsatzsteuer mit auf den 20.9.2017 datierten Einspruchsentscheidungen als unbegründet zurück. Die Schätzungsbefugnis bestehe, da der Kläger die Bareinzahlungen nicht ausreichend aufgeklärt und gegen seine Mitwirkungspflichten verstoßen habe. Die Einspruchsentscheidungen wurden ausweislich der Verfügungen des Beklagten am 20.9.2017 (Mittwoch) mit einfachem Brief zur Post aufgegeben. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.

Der Kläger (vertreten durch die B GmbH) hat am 26.10.2017 per Fax (um 7.21 Uhr an die Faxnummer 0 211 77702373 und um 10.02 Uhr an die Faxnummer 0211 77702510) Klage erhoben und dabei geltend gemacht, die Einspruchsentscheidungen seien am 26.09.2017 eingegangen. Der Klage beigefügt hat der Kläger ein Faxprotokoll (Bl. 2 GA), wonach die Übersendung der Klageschrift per Fax am Vortag (25.10.2017) um 17.33 Uhr an die Faxnummer 0211 77702600 des Gerichts ohne Antwort geblieben war, sowie später ein weiteres Faxprotokoll dieses Datums (Bl. 86 GA) zu einer weiteren Übermittlung ohne Antwort von 16.58 Uhr. Dies beruhte, wie das Gericht ermittelt hat, darauf, dass das Faxgerät ausweislich des Faxtätigkeitsprotokolls zu diesen Zeitpunkten besetzt war. In der Zeit von 13.47 Uhr bis maximal 19.45 Uhr ging eine andere umfangreiche Faxsendung ein. Ab 19.45 Uhr empfing das Gerät dann wieder anderweitige Faxsendungen. Ein Defekt des Faxgerätes konnte nicht festg...

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